Der Erdbeerpfluecker
kann?«
Unwillig ließ sie die kräftigen Arme sinken, einen formlosen Büstenhalter in den Händen. Sie sah Bert misstrauisch ins Gesicht. »Wer will das wissen?«
Er trat näher an den Balkon heran, zog seinen Ausweis aus der Tasche und zeigte ihn ihr.
Sie las langsam und konzentriert. Stumm formten ihre Lippen Silbe für Silbe. Ein Speichelbläschen zerplatzte vor ihrem Mund. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Und wer sagt mir, ob der echt ist?«
Bert seufzte. »Ich möchte doch bloß wissen, wann ich die Familie Steiger erreichen kann.«
Sie hängte den Büstenhalter auf, rückte den Wäscheständer zurecht und angelte sich ein neues Wäschestück aus dem Korb. »Familie würd ich das nich nennen. Ein Haufen Irrer würd besser passen. Die Einzige, die was taugt, ist die Caro. Aber die hab ich schon ewig nich mehr hier gesehn.«
Mit zwei, drei raschen Bewegungen schlug sie ein Hemd aus. »Und Recht hat se. Hier kann aus ihr nix werden. Gucken Se sich doch um.« Mitten in der Bewegung hielt sie inne und drehte sich wieder nach Bert um. »Is was mit dem Mädchen?«
Bert hatte ßbung darin, sich ins Unverbindliche zurückzuziehen, wenn es notwendig wurde. »Eine reine Routinebefragung«, wich er aus.
Sie spürte die Abfuhr sofort und ging wieder auf Distanz. »Beide Eltern arbeitslos, der Bruder in einem schwierigen Alter. Mehr weiß ich nich, und wenn ich mehr wüsste, würd ichs Ihnen bestimmt nich auf die Nase binden.«
Das glaubte Bert ihr aufs Wort. »Besten Dank auch«, sagte er und betrachtete das Haus genauer. Aus den Briefkastenschlitzen quollen Werbeprospekte. Zwei der Briefkästen waren halb aus der Wand gerissen und hingen schief in der Verankerung, die übrigen waren verbeult, als hätte jemand mit einem Hammer seine Wut daran ausgelassen.
Ein Teller mit eingetrockneten Resten von Katzenfutter stand neben der Treppenstufe im Gras. Einen halben Meter dahinter lag eine leere Schnapsflasche. Um einen schwarzen Hundehaufen surrten Fliegen. Eine Fensterscheibe im zweiten Stock war zerbrochen und notdürftig mit Pappe geflickt. An die Scheibe daneben hatte jemand in roter Schrift
Scheißwelt
geschmiert.
Caro, dachte Bert. Wie bist du hier zurechtgekommen?
Doch er wusste die Antwort. Sie war nicht zurechtgekommen. Sie war ausgebrochen. Weggelaufen. Um ihr Leben.
Das sie dann in einem Wald verloren hatte.
Im ersten Stock rechts trat ein junger Mann auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an. Ende zwanzig, schätzte Bert, die Figur eines Bodybuilders, wirkungsvoll zur Schau gestellt in einem schwarzen Achselhemd. Beide Oberarme waren von Tätowierungen bedeckt. Er stützte sich auf das Geländer und sah gelangweilt zu Bert hinunter.
»Vielleicht können Sie mir weiterhelfen«, sagte Bert. »Ich suche die Familie Steiger.«
»Nebenan.« Der junge Mann wies zur Nachbarwohnung. »Sind aber so gut wie nie zu Hause. Hat der Kalle wieder was angestellt?«
»Kalle?«
»Der Sohn.«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Caro und Kalle, dachte Bert. Er sah den mageren Körper der toten Caro vor sich, erinnerte sich an ihr schmales Gesicht. Und er fragte sich, wie wohl ihr Bruder Kalle aussehen mochte. Er war sich ziemlich sicher, dass er groß, kantig und breit war. Hatte die zerbrechliche Caro diesen vierschrötigen Bruder geliebt?
Unsinn. Bert schob seine ßberlegungen beiseite. Vielleicht war Kalle ja viel jünger als seine Schwester. Vielleicht ein schlaksiger Junge mit Sommersprossen und viel zu langen Armen und Beinen, der seine Schwester vermisste, seine Herkunft verfluchte und ständig in irgendeinen Schlamassel geriet.
Bert nickte dem jungen Mann zu und ging zu seinem Wagen zurück. Eine Gnadenfrist für die Familie. Danach würden sie sich mit Caros Tod auseinandersetzen müssen. Mit ihrem Schmerz, ihrer Trauer und ihren Schuldgefühlen. Wie immer sie ihr Leben auch verbrachten, es würde in Scherben fallen und ihnen jeden Schutz nehmen.
Sie hatten nicht nur einen Tod zu verkraften. Sie mussten mit einem Mord fertig werden. Das war ein himmelweiter Unterschied.
Sie war gerade mitten in der Arbeit, als das Telefon läutete. Unwillig nahm sie den Hörer und sah auf das Display. Es war Jette.
»Schatz, im Augenblick ist es ganz ungünstig. Ich bin gerade an der Stelle, wo Justin sich entscheidet, wider alle Vernunft den nächstbesten... Was ist los? Warum weinst du? Beruhige dich doch, Kind.«
Tränen erschreckten sie immer, vor allem, wenn es die
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