Der Erdbeerpfluecker
war ein Gespräch zwischen einer Mutter und ihrer Tochter.
Jette! Sie hatte vergessen, sie anzurufen. Da lief ein Mörder in der Gegend herum und sie vergaß über dem Schreiben ihre Tochter. Obwohl der Mörder bereits Caro getötet hatte.
Imke zappte durch die Programme, sah angewidert, wie sich junge Frauen in sexistischen Werbespots prostituierten. Daneben nahm sie die absolute Stille draußen in der Dunkelheit wahr.
Sie mochte diese Stimmung zwischen zwei und fünf Uhr in der Frühe nicht. Irgendwo hatte sie einmal gelesen, dass die meisten Menschen in dieser Zeitspanne sterben. Sie fühlte sich dünnhäutig und angreifbar und dem Tod näher als dem Leben.
Später, dachte sie. Gleich nach dem Frühstück würde sie Jette anrufen. Und noch einmal versuchen, ihr eine Reise schmackhaft zu machen. Die Mädchen wären nirgendwo sicherer als unterwegs, wo auch immer.
Vielleicht sollte sie Bert Melzig um Hilfe bitten. Er könnte Jette und Merle ins Gewissen reden. Ihnen klarmachen, in welcher Gefahr sie sich befanden. Vor allem nach Jettes unüberlegter Drohung. Möglicherweise wussten die beiden etwas über den Mörder, ohne sich dessen bewusst zu sein. Oder der Mörder glaubte es.
Und wenn er einen Schlüssel für die Wohnung der Mädchen besaß? Imke biss sich in den Handballen, um nicht zu schreien. Was, wenn Tilo Recht hatte, wenn Caros unbekannter Freund der Mörder war? Sie musste Jette unbedingt dazu bringen, das Türschloss austauschen zu lassen. Oder besser noch, sie rief am Morgen gleich einen Schlosser an und stellte die Mädchen vor vollendete Tatsachen.
Edgar und Molly wollten hinaus. Imke öffnete ihnen die Terrassentür und schlug sie rasch wieder zu. Um die Katzen brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Die hatten keinen Mörder zu fürchten. Höchstens die Marder, die hier in der Gegend ihr Unwesen trieben.
Die Welt, dachte Imke, ist ein reichlich kalter, feindlicher Ort. Sie machte den Fernseher aus, ließ das Tablett im Wohnzimmer stehen und ging nach oben. Mit einem Buch legte sie sich ins Bett. Ihre Augen waren schwer von Müdigkeit. Aber sie war zu aufgewühlt. An Schlaf war nicht zu denken.
Auf halber Treppe kam mir Frau Mertens aus der Wohnung unter uns entgegen, die zweijährige Carolin auf der Hüfte. Sie grüßte mich mit einem Lächeln und ging zögernd weiter. Carolin rief mir mit ihrem Vogelstimmchen etwas zu, was ich nicht verstand.
Die Hausbewohner reagierten ziemlich hilflos auf Caros Tod. Sie alle hatten uns verlegen ihr Beileid ausgesprochen und danach ängstlich jedes Gespräch vermieden. Vielleicht waren sie bei der Beerdigung gewesen, aber Merle und ich hatten damals keinen von ihnen wahrgenommen.
Damals. Wie das klang. Als läge der Tag schon Jahre zurück. Seit Caro tot war, hatte ich überhaupt kein Gefühl mehr für die Zeit.
Ich schloss die Wohnungstür auf und schwenkte die Brötchentüte. Merle war auch aufgestanden. Sie hatte den Tisch gedeckt und die Espressomaschine sauber gemacht. Wir hatten uns vorgenommen, uns nicht gehen zu lassen, nicht in der Trauer um Caro zu versinken.
Die Ferien hatten angefangen und wir wollten sie nutzen. Anziehen, frühstücken und unser Ziel verfolgen, das war das Programm, das wir für die nächsten Wochen aufgestellt hatten. Unser Ziel war es, Caros Mörder zu finden.
Während wir beim Frühstück saßen, klingelte es an der Tür. Dorit und Bob brachten uns zwei Katzen, die sie bei der letzten Aktion aus einem Versuchslabor gerettet hatten. Die Katzen lagen apathisch in ihren Körben, voll gepumpt mit Medikamenten.
Ich machte ihnen das Katzenklo im Bad zurecht. Merle breitete eine Decke unter dem Waschbecken aus. Die Tiere brauchten zunächst einmal einen kleinen, überschaubaren, abgeschlossenen Raum. Später, wenn sie Zutrauen gefasst hätten, würden sie nach und nach die übrige Wohnung erkunden. So war es immer.
Nachdem Dorit und Bob wieder gegangen waren, rief meine Mutter an. Sie teilte mir mit, dass sie einen Schlosser damit beauftragt hatte, unser Türschloss auszuwechseln. Während sie noch redete, kroch die alte Wut in mir hoch. Wie lange wollte sie sich noch ungefragt in mein Leben drängen?
»Wir haben eine klare Abmachung«, sagte ich. »Du lebst dein Leben und ich lebe meins. Kannst du dich nicht endlich daran halten?«
Ich konnte hören, wie sie scharf einatmete. Vielleicht klappte es mit dem Schreiben nicht so richtig und sie war gereizt. »Bitte, Jette«, sagte sie. »Ihr müsst euch
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