Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
Festigkeit prüfen.
»Ich habe nachgedacht«, sagte Sperber. »Ich glaube, du tätest vielleicht gut daran, nach Havnor zu fahren.«
Erle sah ihn an wie aufgeschreckt. »Ach«, sagte er. »Ich dachte, wenn ich jetzt einen Weg gefunden habe, wie ich mich von ... von jenem Ort... fern halte, könnte ich vielleicht nach Taon heimkehren.« Er verlor den Glauben an das, was er sagte, noch während er es aussprach.
»Das könntest du, aber ich glaube nicht, dass das klug wäre.«
Erle sagte widerstrebend: »Es ist wohl ein bisschen viel verlangt von einem Kätzchen, einen Menschen gegen die Heere der Toten zu verteidigen.«
»Das ist es wohl.«
»Aber ich ... was soll ich denn in Havnor?« Und, mit jäh aufflammender Hoffnung: »Würdet Ihr mitkommen?«
Sperber schüttelte den Kopf nur einmal. »Ich bleibe hier.«
»Der Meister der Formgebung ...«
»Hat dich zu mir geschickt. Und ich schicke dich zu denen, die deine Geschichte hören und herausfinden sollten, was sie bedeutet ... Ich sage dir, Erle, ich bin mir sicher, dass der Formgeber tief in seinem Herzen glaubt, ich sei immer noch das, was ich einmal war. Er glaubt, ich verstecke mich bloß hier in den Wäldern Gonts und werde hervorkommen, wenn die Not am größten ist.« Der alte Mann schaute an seinen verschwitzten, flickenübersäten Kleidern hinunter und auf seine staubigen Schuhe und fügte lachend hinzu: »In all meiner Pracht.«
»Määh«, machte die braune Ziege hinter ihm.
»Aber er tat dennoch gut daran, dich hierher zu schicken, Erle, da sie hier gewesen wäre, wenn sie nicht nach Havnor gegangen wäre.«
»Die Dame Tenar?«
»Hama Gondun. So hat der Formgeber selbst sie genannt«, sagte Sperber und schaute Erle über den Zaun hinweg mit unergründlichem Blick an. »Eine Frau auf Gont. Die Frau von Gont. Tehanu.«
Kapitel II
Paläste
Als Erle zu den Docks hinunterkam, lag die Fernflieger noch immer am Kai; sie nahm eine Ladung Holz auf. Aber Erle wusste, dass er auf diesem Schiff keine freundliche Aufnahme mehr finden würde: die hatte er verwirkt. Also ging er weiter zu einem kleinen, schäbigen Küstensegler, der gleich daneben fest gemacht hatte und den Namen Schöne Rose führte.
Sperber hatte ihm einen Überfahrtbrief gegeben, der vom König unterzeichnet war und das Siegel mit der Friedensrune trug. »Er hat ihn mir geschickt, auf dass ich ihn nutzen könne, falls ich meine Meinung ändern sollte«, hatte der alte Mann mit einem Schnauben gesagt. »Nun wird er dir gute Dienste leisten.« Nachdem der Schiffer sich den Brief von seinem Zahlmeister hatte vorlesen lassen, wurde er ganz ehrerbietig und entschuldigte sich für die beengten Verhältnisse an Bord und die Dauer der Reise. Die Schöne Rose fuhr zwar nach Havnor, aber sie war ein Küstenschiff, das kleine Güter von Hafen zu Hafen brachte, und es konnte gut einen Monat oder gar zwei dauern, bis sie die Südostküste der Großen Insel umrundet hätte und die Königsstadt erreichen würde.
Das sei ihm schon recht, beruhigte Erle den Schiffer. Denn wenn er sich vor der Reise fürchtete, so fürchtete er sich noch mehr vor ihrem Ende.
Von Neumond bis Halbmond war die Seereise für ihn eine Zeit des Friedens. Das graue Kätzchen erwies sich als ein tapferer, zuverlässiger Gefährte. Tagsüber stellte es eifrig den Mäusen auf dem Schiff nach, des Nachts rollte es sich treu unter seinem Kinn oder in Reichweite seiner Hand zusammen. Und zu seiner immer noch großen Verblüffung hielt ihn dieses winzige Stückchen warmen Lebens von der Steinmauer und den Stimmen fern, die ihn zu sich riefen. Nicht gänzlich indes. Nicht dergestalt, dass er sie jemals völlig vergessen hätte. Sie waren nach wie vor präsent, allein getrennt von ihm durch den Schleier des Schlafes in der Dunkelheit und durch das Licht am Tage. Wenn er in jenen warmen Nächten draußen auf Deck schlief, schlug er oft die Augen auf, um sich zu vergewissern, dass die Sterne sich bewegten, dass sie im Rhythmus des sanft in der Dünung sich wiegenden Schiffes hin und her schwangen, dass sie ihrer Bahn quer über den Himmel nach Westen folgten. Er war immer noch ein geplagter Mann. Aber diesen einen halben Sommermonat an den Küsten von Kameber, Barnisk und der Großen Insel konnte er seinen Plagegeistern den Rücken kehren.
Mehrere Tage lang jagte das Kätzchen eine junge Ratte, die nahezu so groß war wie es selbst. Als einer der Seemänner sah, wie es schließlich stolz und unter großer Anstrengung den Kadaver
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