Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
Katzen, mit trockener, rauer Zunge. Mit großer Geduld leckte er mich und holte mich durch seine Berührung wieder zurück - zurück in meinen Körper. Das Geschenk, das mir das Tier damit machte, war nicht bloß das Leben selbst, sondern auch ein Wissen, das so groß war wie keines, das ich je auf Rok empfangen ... Aber du siehst, ich vergesse all das, was ich einst gelernt habe.
Ein Wissen, sage ich zwar, aber 's ist eher ein Rätsel. Was ist der Unterschied zwischen uns und den Tieren? Die Sprache? Alle Tiere haben irgendeine Art von Sprache; sie sagen Komm! und Gib Acht! und vieles andere; aber sie können keine Geschichten erzählen, und sie können nicht lügen. Wir jedoch können das ...
Aber die Drachen sprechen: Sie sprechen die Wahre Sprache, die Sprache des Erschaffens, in welcher es keine Lügen gibt, in welcher die Geschichte zu erzählen bedeutet, sie wahr werden zu lassen! Gleichwohl nennen wir die Drachen Tiere ...
Also ist der Unterschied vielleicht doch nicht die Sprache. Vielleicht ist er dies: Tiere tun weder Gutes noch Böses. Sie tun, was sie tun müssen. Wir mögen das, was sie tun, schädlich oder nützlich nennen, aber Gut und Böse, das sind Dinge, die uns gehören, uns, die wir frei wählen, was wir tun. Die Drachen sind gefährlich, ja. Sie können Unheil anrichten, ja. Aber sie sind nicht böse. Sie stehen unter unserer Moral, wenn du so willst, wie jedes Tier. Oder über ihr. Sie haben nichts mit ihr zu tun.
Wir müssen immer wieder wählen. Die Tiere hingegen brauchen nur zu sein und zu tun. Wir sind unterjocht, sie sind frei. Mit einem Tier zusammen zu sein bedeutet daher, ein wenig Freiheit zu erleben ...
Gestern Nacht dachte ich darüber nach, dass Hexen oft einen Gefährten haben, einen Vertrauten. Meine Tante hatte einen alten Hund, der nie bellte. Sie nannte ihn Gehvor. Und der Erzmagier Nemmerle hatte, als ich auf die Insel Rok kam, einen Raben, der ihn überallhin begleitete. Und ich dachte an eine junge Frau, die ich einst kannte, die eine kleine Drachen-Eidechse, einen Harekki, als Armband trug. Und so kam ich denn schließlich auf meinen Otak. Und dann dachte ich, wenn das, was Erle braucht, um ihn auf dieser Seite der Mauer zu halten, die Wärme einer Berührung ist, warum dann nicht die eines Tieres? Sehen die Tiere doch das Leben, nicht den Tod. Vielleicht ist ein Hund oder eine Katze ebenso gut wie ein Meister von Rok ...«
Und so war es. Das Kätzchen, sichtlich froh, dem Haushalt mit Tieren und Katern und Hähnen und der unberechenbaren Heide entronnen zu sein, mühte sich eifrig zu beweisen, dass es eine verlässliche und emsige Katze war: Es durchstreifte das Haus auf der Suche nach Mäusen, hockte, wenn es durfte, auf Erles Schulter unter seinem Haar und rollte sich mit behaglichem Schnurren direkt unter seinem Kinn zusammen, sobald er sich schlafen legte. Erle schlief die ganze Nacht ohne irgendeinen Traum, an den er sich hätte erinnern können, und als er aufwachte, saß das Kätzchen auf seiner Brust und putzte sich mit einem Ausdruck von stiller Tugendhaftigkeit die Ohren.
Als Sperber jedoch versuchte, sein Geschlecht zu ermitteln, knurrte es und wehrte sich. »Nun denn«, sagte er und zog seine Hand hastig aus der Gefahrenzone zurück. »Halt es, wie du willst. Es ist entweder ein Kater oder eine Katze, Erle, dessen bin ich sicher.«
»Ich werde ihm ohnehin keinen Namen geben«, meinte Erle. »Sie vergehen wie die Flamme einer Kerze, diese kleinen Kätzchen. Wenn man einem einen Namen gegeben hat, grämt man sich dann nur umso mehr.«
An dem Tag gingen sie auf Erles Vorschlag hin den Zaun der Ziegenweide ab, um ihn auf undichte Stellen abzusuchen und diese zu flicken - Sperber auf der Innenseite, Erle auf der Außenseite. Immer wenn einer von ihnen eine Stelle entdeckte, wo die Pfähle erste Anzeichen von Fäulnis aufwiesen oder die Latten sich gelockert hatten, ließ Erle seine Hände über das Holz gleiten und drückte, glättete, fügte und festigte, seinen kaum verständlichen Singsang fast unhörbar in Kehle und Brust, das Gesicht entspannt und konzentriert.
Einmal murmelte Sperber, wie er ihm so zuschaute: »Und ich habe das alles als selbstverständlich angesehen!«
Der ganz in seine Arbeit vertiefte Erle fragte ihn nicht, was er damit meinte.
»So«, sagte er, »das wird halten.« Und sie gingen weiter, dicht gefolgt von den zwei neugierigen Ziegen, die mit den Köpfen gegen die geflickten Stellen stießen, als wollten sie sie auf ihre
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