Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
Hinterteil war, das auf dem ungepolsterten Thron sitzen musste, behielten seine Kritiker nicht das letzte Wort in der Angelegenheit.
    In diesen strengen und hohen Saal zog an einem kühlen Spätsommermorgen der Rat des Königs ein: einundneunzig Männer und Frauen, hundert, wenn ein jeder zugegen gewesen wäre. Sie waren allesamt vom König ausgewählt worden, einige, um die großen Adels- und Fürstenhäuser der Inneren Inseln zu repräsentieren, verbürgte Vasallen der Krone; andere, um für die Interessen und Belange der anderen Inseln und Teile des Archipels zu sprechen; wieder andere, weil der König in ihnen nützliche und vertrauenswürdige Ratgeber gefunden hatte oder zu finden hoffte. Da waren Kaufleute, Schiffer und Faktoren aus Havnor und den anderen großen Hafenstädten der See von Ea und der Innensee, glanzvoll und Ehrfurcht einflößend in ihrer Würde und ihren dunklen Roben aus schwerer Seide. Da waren Meister von den Handwerkerzünften, wendige und erfahrene Feilscher, aus deren Zahl besonders ein helläugiges, geiziges Weib herausragte, die Herrin der Bergleute von Osskil. Da waren Zauberer von Rok wie Onyx mit ihren grauen Umhängen und hölzernen Stäben. Auch ein pelnischer Hexer war zugegen, Meister Seppel geheißen, der keinen Stab trug und um welchen die Leute meistens einen großen Bogen schlugen, wiewohl er einen durchaus freundlichen Eindruck machte. Da waren Edelfrauen, junge wie alte, von den Fürstentümern und Lehnsgütern des Königreiches, einige in Seide aus Lorbanery und Perlen von den Sandinseln, sowie zwei Inselfrauen, stattlich, schmucklos und würdevoll, eine von Iffisch und eine von Korp, welche für das Volk des Ostbereiches sprachen. Auch einige Poeten, ein paar Gelehrte von den alten Akademien von Ea und den Enladen sowie mehrere Hauptmänner und Kapitäne von den Schiffen des Königs waren vertreten.
    All diese Ratsmitglieder hatte der König selbst gekürt. Nach Ablauf von zwei oder drei Jahren würde er sie bitten, ihm erneut zu dienen, oder sie mit Dank und in Ehren aus dem Dienst entlassen und durch neue ersetzen. Alle Gesetze und Steuern, alle Gerichtsurteile, die vor den Thron gebracht wurden, diskutierte und beriet er mit ihnen. Danach stimmten sie über seinen Gesetzesvorschlag ab, und nur mit Zustimmung der Mehrheit wurde das Gesetz erlassen. Es gab Stimmen, die behaupteten, der Rat sei nichts weiter als eine Marionette des Königs, und so hätte es in der Tat sein können. Meistens setzte er seinen Willen durch, wenn er dafür stritt. Oft aber äußerte er gar keine Meinung und ließ den Rat die Entscheidung fällen. Viele Ratsmitglieder hatten die Erfahrung gemacht, dass, wenn sie genügend Fakten hatten, um ihre Opposition zu rechtfertigen, und geschickt argumentierten, sie die anderen umstimmen und sogar den König überzeugen konnten. Deshalb waren Debatten innerhalb der verschiedenen Ausschüsse und Gremien des Rates oft heiß umstritten, und selbst in der Plenarsitzung war der König schon mehrere Male niedergestimmt worden. Er war ein guter Diplomat, aber ein mittelmäßiger Politiker.
    Er fand, dass sein Rat ihm gute Dienste leistete, und Menschen mit Macht hatten gelernt, ihn zu respektieren. Das einfache Volk schenkte ihm keine sonderliche Aufmerksamkeit. Seine Hoffnungen und seine Aufmerksamkeit richteten sich ganz auf die Person des Königs selbst. Es gab tausend Lieder und Balladen, die den Sohn Morreds besangen und feierten, den Prinzen, der den Drachen vom Tode zurück zu den Ufern des Tages geritten hatte, den Helden von Sorra, den Träger des Schwertes von Serriadh, die Eberesche, die Hohe Esche von Enlad, den geliebten König, der im Zeichen des Friedens regierte. Aber es war schwer, Lieder zu dichten über Ratsherren, die über Schifffahrtssteuern debattierten.
    Und so defilierten sie denn unbesungen in den Thronsaal und nahmen auf den gepolsterten Bänken vor dem ungepolsterten Thron Platz. Sie erhoben sich wieder, als der König hereingeschritten kam. Bei ihm waren die Frau von Gont, die die meisten von ihnen schon zuvor gesehen hatten, sodass ihr Erscheinen keine Unruhe auslöste, sowie ein schmächtiger Mann in rostigem Schwarz. »Der sieht aus wie ein Dorfhexer«, sagte ein Handelsmann aus Kamery zu einem Schiffszimmermann aus Weg, worauf dieser »Zweifellos!« erwiderte, in einem resignierten, nachsichtigen Ton. Der König wurde auch von vielen der Ratsmitglieder geliebt oder zumindest gemocht; er hatte ihnen schließlich Macht in die

Weitere Kostenlose Bücher