Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
bedeutet das Wesen zu sein, Kapitän«, sagte er höflich. »Ein Magier kann aussehen wie ein Drache. Aber echte Verwandlung ist eine heikle Kunst. Besonders jetzt. Eine kleine Veränderung inmitten großer Veränderungen ist wie ein Atemhauch wider den Wind ... Aber wir haben hier unter uns eine, die keiner Kunst bedarf und dennoch besser für uns mit Drachen sprechen kann, als jeder Mann es je könnte. So sie denn für uns sprechen will.«
    Bei diesen Worten erhob sich Tehanu von ihrer Bank am Fuß des Podiums. »Ich will«, sagte sie. Und setzte sich wieder.
    Das brachte die Diskussion für eine Minute ins Stocken, aber gleich darauf ging sie mit unverminderter Schärfe weiter.
    Der König hörte zu und sagte selbst nichts. Er wollte sich ein Bild von der Stimmung seines Volkes machen.
    Die silbernen Trompeten hoch oben auf dem Schwertturm bliesen allesamt ihre Weise vier Mal, verkündeten die sechste Stunde, die Mittagsstunde. Der König stand auf, und Fürst Sege vertagte die Versammlung bis zur ersten Stunde des Nachmittags.
    Eine Erfrischung, bestehend aus Frischkäse, Sommerfrüchten und jungem Gemüse, wurde in einem Zimmer in Königin Herus Turm dargereicht. Dorthin lud Lebannen Tehanu und Tenar, Erle, Sege und Onyx ein, und Onyx brachte mit der Erlaubnis des Königs den pelnischen Hexer Seppel mit. Sie setzten sich und speisten zusammen. Gesprochen wurde wenig und wenn, dann leise. Die Fenster blickten über den ganzen Hafen und das nördliche Ufer der Bucht, die sich in der Ferne in einem bläulichen Dunst verlor, welcher ebenso gut Überrest des Morgennebels wie Rauch von den Waldbränden im Westen des Eilandes sein konnte.
    Erle war nach wie vor verblüfft darüber, dass er in den Kreis der Vertrauten des Königs einbezogen und in seinen Rat geholt worden war. Was hatte er mit Drachen zu schaffen? Er konnte weder mit ihnen kämpfen noch mit ihnen sprechen. Schon der Gedanke an solch mächtige Wesen war ihm fremd und formidabel. Die prahlerischen Reden und trotzigen Herausforderungen der Ratsherren kamen ihm bisweilen vor wie Hundegekläff. Er fühlte sich an einen jungen Hund erinnert, dem er einmal am Strand belustigt dabei zugesehen hatte, wie er den Ozean anbellte und wütend den zurückschwappenden Brandungswellen hinterherjagte und nach ihnen schnappte, um dann postwendend mit eingezogenem Schwanz vor dem nächsten Brecher Fersengeld zu geben.
    Aber er war froh, in Tenars Nähe zu sein, die ihm die Befangenheit nahm und die er wegen ihrer Freundlichkeit und ihres Mutes liebte und schätzte, und er stellte jetzt fest, dass er auch Tehanus Gesellschaft als wohltuend empfand.
    Aufgrund ihrer Entstellung erweckte sie den Anschein, als hätte sie zwei Gesichter. Er konnte sie nicht beide gleichzeitig sehen, nur jeweils das eine oder das andere. Aber er hatte sich daran gewöhnt, und es beunruhigte ihn nicht mehr. Das Gesicht seiner Mutter war zur Hälfte von einem weinroten Muttermal bedeckt gewesen. Tehanus Gesicht erinnerte ihn daran.
    Sie schien jetzt weniger ruhelos und beunruhigt, als sie es vorher gewesen war. Sie saß gelassen da, und ein paar Mal sprach sie mit ihm auf eine scheue, kameradschaftliche Art. Er fühlte, dass sie wie er nicht aus freier Wahl hier war, sondern weil sie sich getrieben fühlte, einem Weg zu folgen, den sie nicht verstand. Vielleicht liefen ihr Weg und seiner zusammen, zumindest für eine Weile. Der Gedanke machte ihm Mut. Er wusste nur, dass es da etwas gab, das er tun musste, etwas Begonnenes, das vollendet werden musste, aber er hatte das Gefühl, was immer es sein mochte, er würde es besser mit ihr machen als ohne sie. Vielleicht fühlte sie sich aus der gleichen Einsamkeit heraus zu ihm hingezogen.
    Aber ihre Unterhaltung drehte sich nicht um solche tief schürfenden Themen. »Mein Vater hat dir ein Kätzchen gegeben«, sagte sie zu ihm, als sie den Tisch verließen. »War es eines von Tantchen Moos' Kätzchen?«
    Er nickte, und sie fragte: »Das graue?«
    »Ja.«
    »Das war das beste aus dem Wurf.«
    »Die Kleine wird langsam fett hier.«
    Tehanu zögerte und sagte dann schüchtern: »Ich glaube, es ist ein Er.«
    Erle ertappte sich bei einem Lächeln. »Er ist ein guter Kamerad. Ein Matrose hat ihn Schleppi getauft.«
    »Schleppi«, sagte sie und schien's zufrieden.
    »Tehanu«, sprach der König. Er hatte sich neben Tenar gesetzt, auf den Fensterplatz. »Ich habe dich heute im Rat nicht aufgerufen, von den Fragen zu sprechen, die Lord Sperber dir gestellt hat.

Weitere Kostenlose Bücher