Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
Luft und Feuer war, wenn keine Erdenschwere in ihm war, kein beharrliches Wasser ...
Aber galt dies nicht in noch viel höherem Maße für Tehanu? Ihre unirdische Therru, die beschwingte Seele, die gekommen war, um eine Zeit bei ihr zu verweilen und die sie bald, das wusste sie, verlassen würde? Von Feuer zu Feuer.
Und Irian, mit der Tehanu gehen würde ... Was hatte dieses strahlende, wilde Geschöpf mit einem alten Haus zu schaffen, das geputzt und in Stand gehalten werden musste, mit einem alten Mann, der bekocht und bemuttert werden musste? Wie konnte Irian solche Dinge verstehen? Was bedeutete es für sie, einen Drachen, dass ein Mann sich seiner Pflicht unterwerfen sollte, dass er heiraten, Kinder zeugen, das Joch der Erde tragen sollte?
Sich allein und nutzlos fühlend unter all diesen Wesen von bedeutendem, übermenschlichem Schicksal, gab Tenar sich gänzlich dem Heimweh hin. Heimweh nicht nur nach Gont. Warum sollte sie sich nicht mit Seserakh zusammentun, die eine Prinzessin war, so wie sie selbst einst eine Priesterin gewesen war, aber die nicht auf feurigen Schwingen davonfliegen würde, die durch und durch und voll und ganz ein Erdenweib war? Und die Tenars Sprache sprach! Tenar hatte ihr pflichtschuldig Unterricht in Hardisch erteilt und sich über ihre rasche Auffassungsgabe gefreut, und erst jetzt wurde ihr plötzlich bewusst, dass die eigentliche Freude darin bestanden hatte, Kargisch mit ihr zu sprechen, Worte zu hören und zu sagen, die ihre ganze verlorene Kindheit in sich bargen.
Als sie zu dem Weg kam, der zu den Fischteichen unter den Weiden führte, sah sie Erle. Bei ihm war ein kleiner Junge. Sie unterhielten sich leise, nüchtern. Sie freute sich immer, wenn sie Erle sah. Sie hatte Mitleid mit ihm wegen der Schmerzen und der Furcht, die ihn quälten, und bewunderte die Geduld, mit der er sie ertrug. Sie mochte sein ehrliches, hübsches Gesicht und seine silberne Zunge. Was war schlimm daran, wenn man die gewöhnliche Sprache mit ein paar hübschen Blumen schmückte? Ged hatte ihm vertraut.
Sie blieb stehen, um die beiden nicht in ihrem Gespräch zu stören. Beide knieten sich jetzt auf den Pfad und spähten in die Büsche. Gleich darauf kam Erles kleine graue Katze aus einem der Büsche. Sie schenkte ihnen keine Beachtung, sondern huschte über die Wiese, einer Motte hinterher, die sie fangen wollte.
»Du kannst sie die ganze Nacht über draußen lassen, wenn du möchtest«, sagte Erle zu dem Kind. »Sie kann hier nicht streunen oder zu Schaden kommen. Sie liebt es, im Freien zu sein. Aber dies ist für sie wie ganz Havnor, dieser große Garten hier. Oder du entlässt sie erst morgens in die Freiheit. Dann kannst du sie, wenn du möchtest, bei dir schlafen lassen.«
»Das würde mir gefallen«, sagte der Junge, schüchtern, aber entschieden.
»Dann musst du ihre Sandkiste in dein Zimmer stellen. Und eine Schale mit Wasser. Sie muss immer gut gefüllt sein.«
»Und Futter.«
»O ja; einmal pro Tag. Und nicht zu viel. Sie ist ein bisschen gierig. Sie glaubt wahrscheinlich, Segoy habe die Inseln bloß geschaffen, damit Schleppi sich den Bauch voll schlagen kann.«
»Fängt sie auch Fische aus dem Teich?« Die Katze war jetzt in der Nähe von einem der Karpfenteiche angelangt. Sie hockte auf dem Gras und sah sich um. Die Motte war ihr offenbar entwischt.
»Sie beobachtet sie gern.«
»Ich auch«, sagte der Junge. Sie erhoben sich und gingen zusammen zu den Teichen.
Tenar war gerührt. Erle hatte so etwas Unschuldiges, aber es war die Unschuld eines Mannes, nichts Kindliches. Er hätte selbst Kinder haben sollen, dachte sie. Er wäre ein guter Vater gewesen.
Sie dachte an ihre eigenen Kinder und an die kleinen Enkelkinder. Bei dem Wort »klein« stutzte sie. Apfels Älteste, Pippin, wurde sie nicht schon zwölf? Sie würde dieses oder nächstes Jahr benannt werden! Oh, es war Zeit, nach Hause zu fahren. Es war Zeit, Mitteltal zu besuchen, ein Namenstagsgeschenk für ihre Enkelin und Spielsachen für die Kleinen mitzunehmen, aufzupassen, dass Funke in seinem Übereifer die Birnbäume nicht wieder zu stark beschnitt, eine Weile zu sitzen und mit ihrer lieben Tochter Apfel zu reden ... Apfels wahrer Name war Hayohe, der Name, den Ogion ihr gegeben hatte ... Der Gedanke an Ogion war wie immer mit einem süßen Stich der Liebe und der Sehnsucht verbunden. Sie sah den Herdplatz des Hauses in Re Albi. Sie sah Ged dort am Herd sitzen. Sie sah, wie er ihr sein dunkles Gesicht zuwandte, um
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