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Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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ihm, sich mit dem Gesicht nach unten auf die Erde zu legen, und zwar so, dass er in die Tiefen der Dunkelheit schauen konnte, die sich nach unten erstreckte. »Haltet Euch an der Erde fest«, sagte er. »Das ist alles, was Ihr tun müsst. Auch wenn sie sich bewegt, haltet Euch an ihr fest.«
    Erle tat wie geheißen und starrte hinunter in die Kluft zwischen den Wällen aus Felsgestein. Er fühlte, wie Felszacken sich ihm in Brust und Hüfte bohrten, als er auf ihnen lag; er hörte, wie Seppel mit hoher Stimme einen Singsang anstimmte, mit Worten, die, wie er wusste, der Sprache des Erschaffens entstammten. Er fühlte die Wärme der Sonne auf seinen Schultern und roch den Fäulnisgestank von der Gerberei. Und dann blies der Odem der Kluft aus den Tiefen empor mit einer hohlen Schärfe, die ihm den Atem raubte und ihn schwindeln machte. Die Dunkelheit wallte herauf, auf ihn zu. Der Boden erbebte unter ihm, wogte und rüttelte, und er hielt sich an ihm fest, während er Seppels Singsang hörte und den Odem der Erde atmete. Die Dunkelheit quoll heraus und packte ihn. Er verlor die Sonne.
    Als er zurückkam, stand jene Sonne tief im Westen, ein roter Ball in dem Dunst über den westlichen Gestaden der Bucht. Er sah Seppel unweit von sich auf dem Boden sitzen, müde und verloren dreinschauend. Sein schwarzer Schatten fiel lang über den Felsengrund.
    »Da seid Ihr ja«, grüßte ihn Onyx.
    Erle merkte, dass er auf dem Rücken lag. Sein Kopf ruhte auf Onyx' Knien, ein Felsbrocken bohrte sich in seinen Rücken. Er setzte sich auf, benommen eine Entschuldigung murmelnd.
    Sie brachen auf, sobald er gehen konnte, denn sie hatten etliche Meilen vor sich, und es war klar, dass weder er noch Seppel stramm würden ausschreiten können. Es war bereits tiefe Nacht, als sie die Bootsbauerstraße erreichten. Seppel sagte ihnen Lebewohl, wobei er Erle forschend anschaute, als sie im Licht einer offenen Tavernentür nahe Seppels Haus standen. »Ich habe getan, worum Ihr mich batet«, sagte er, mit dem gleichen unglücklichen Gesichtsausdruck.
    »Ich danke Euch dafür«, sagte Erle und streckte dem Hexer die Rechte hin, nach der Art der Bewohner der Enladen. Nach einem Augenblick des Zauderns berührte Seppel sie mit seiner Hand; und so schieden sie voneinander.
    Erle war so müde, dass seine Beine ihm kaum noch gehorchen wollten. Den scharfen, seltsamen Geruch aus der Erdspalte spürte er immer noch in seinem Mund und seiner Kehle; er fühlte sich leicht, benommen, hohl. Als sie schließlich am Palast ankamen, wollte Onyx ihn zu seinem Zimmer geleiten, aber Erle sagte, er sei wohlauf und bedürfe nur der Ruhe.
    Er kam in sein Zimmer, und Schleppi sprang ihm entgegen und begrüßte ihn nach Katzenart. »Ach, ich brauche dich jetzt nicht«, sagte Erle und bückte sich, um ihm den glatten grauen Rücken zu streicheln. Tränen schossen ihm in die Augen. Es lag nur daran, dass er so schrecklich müde war. Er legte sich aufs Bett, und die Katze sprang zu ihm herauf und schmiegte sich schnurrend an seine Schulter.
    Und dann schlief er: schwarzen, leeren Schlaf ohne irgendeinen Traum, ohne eine Stimme, die seinen Namen rief, ohne einen Hang mit trockenem Gras, ohne eine Steinmauer.
     
    Am Abend vor ihrer Abreise nach Süden ging Tenar noch einmal in den Palastgärten spazieren. Ihr Herz war schwer, und sie hatte Angst. Sie wollte nicht nach Rok, der Insel der Weisen, der Insel der Hexer. ( Verfluchten-Zauberer, sagte eine Stimme in ihrem Geist auf Kargisch.) Was sollte sie dort? Zu was sollte sie dort nutze sein? Sie wollte heim nach Gont, zu Ged. Zu ihrem eigenen Haus, ihrer eigenen Arbeit, ihrem lieben Mann.
    Sie hatte Lebannen vergrault. Sie hatte ihn verloren. Er war höflich, leutselig und unversöhnlich.
    Wie sehr Männer die Frauen fürchten!, dachte sie, während sie zwischen den spätblühenden Rosen spazierte. Nicht als Einzelwesen; aber wenn sie miteinander sprachen, zusammen arbeiteten, füreinander eintraten - dann witterten Männer sogleich Komplotte, Kabale, Intrigen und sahen sich in hinterhältig gelegte Fallen tappen.
    Natürlich hatten sie damit Recht. Frauen neigten auf Grund ihrer Natur nun einmal dazu, Partei für die nächste Generation zu ergreifen, nicht für diese; sie woben die Bindungen, die Männer als Ketten empfanden, die Bande, die Männer als Fesseln ansahen. Sie und Seserakh waren in der Tat Verbündete gegen ihn und bereit, ihn zu verraten, wenn er in Wahrheit nichts anderes als unabhängig war. Wenn er nur

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