Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
und als sie seinem Wink gefolgt waren, stellte er sie den beiden Meistern von Rok vor, Brand, dem Gebieter, und Spiel, dem Windschlüssel.
Auf den meisten Inseln des Archipels berührten die Leute sich zum Gruße nicht mit den Handflächen, wie es auf Enlad Brauch war, sondern verbeugten sich nur oder hielten beide Hände geöffnet vor dem Herzen, wie zur Anerbietung. Als Irian und der Gebieter sich begegneten, machte keiner von beiden eine Verbeugung oder sonst irgendeine Geste. Sie standen sich steif gegenüber, die Hände an den Seiten.
Die Prinzessin machte ihren tiefen, steifen Hofknicks.
Tenar machte die übliche Geste, und der Gebieter erwiderte sie.
»Die Frau von Gont, die Tochter des Erzmagiers, Tehanu«, sagte Lebannen. Tehanu neigte den Kopf und machte die übliche Geste. Aber der Meister des Gebietens starrte sie an, sog lautstark Luft ein und fuhr zurück, wie vom Donner gerührt.
»Fräulein Tehanu«, sprang Spiel hastig in die Bresche, zwischen sie und den Gebieter tretend, »wir heißen Euch auf Rok willkommen, um Eures Vaters willen, Eurer Mutter willen und um Euretwillen. Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise.«
Sie schaute ihn verwirrt an und duckte sich mehr, als dass sie sich verbeugte, wobei sie ihre verbrannte Gesichtshälfte von ihm abwandte; aber sie schaffte es, eine Art Antwort zu flüstern.
Lebannen, dessen Gesicht zu einer bronzenen Maske ruhiger Gefasstheit geronnen war, sagte: »Ja, es war eine gute Reise, Spiel, auch wenn ihr Ende noch ungewiss ist. Sollen wir jetzt durch die Stadt hinaufgehen, Tenar, Tehanu, Prinzessin, Orm Irian?« Er sah jede Einzelne von ihnen an, während er sie fragte, und sprach den letzten Namen besonders deutlich aus.
Er machte sich mit Tenar auf den Weg, und die anderen folgten. Als Seserakh den Landungssteg herunterkam, wischte sie entschlossen die roten Schleier vor ihrem Gesicht.
Spiel ging mit Onyx, Erle mit Seppel. Tosla blieb auf dem Schiff. Der Letzte, der den Kai verließ, war Brand, der Gebieter. Er ging allein und schweren Schritts.
Tenar hatte Ged mehr als einmal nach dem Hain gefragt; sie liebte es, wenn er ihn beschrieb. »Er erscheint einem auf den ersten Blick wie jeder andere Hain. Nicht sehr groß. Im Norden und im Osten stößt er an Felder, und im Süden und gewöhnlich im Westen wird er von Hügeln begrenzt ... Er sieht nach nichts Besonderem aus. Aber er zieht den Blick an. Und manchmal, von der Höhe des Rokkogels aus, kann man sehen, dass er ein Wald ist, der nicht aufzuhören scheint. Man versucht herauszubekommen, wo er aufhört, aber es gelingt einem nicht. Er verschwindet im Westen ... Und wenn man im Wald spaziert, kommt er einem wieder ganz gewöhnlich vor, auch wenn die Bäume meistenteils von einer Gattung sind, die nur dort wächst. Hoch, mit braunem Stamm, ein bisschen einer Eiche, ein bisschen einer Kastanie ähnelnd.«
»Wie heißen sie?«
Ged lachte. »Arhada, in der Alten Sprache. Bäume ... Die Bäume des Hains, auf Hardisch ... Ihre Blätter färben sich nicht alle im Herbst, sondern manche auch in jeder Jahreszeit, sodass das Laub stets grün mit einem goldenen Licht darinnen ist. Selbst an einem dunklen Tag scheinen diese Bäume das Sonnenlicht in sich zu bergen. Und in der Nacht ist es unter ihnen niemals ganz dunkel. Es ist eine Art Schimmer in den Blättern, wie Mondlicht oder Sternenlicht. Weiden wachsen dort und Eichen und Tannen und andere Arten; aber wenn du tiefer in den Wald dringst, findest du immer mehr nur noch die Bäume des Hains. Und deren Wurzeln dringen tiefer als die Insel. Manche Bäume sind riesig, manche schlank und klein, aber du siehst nicht viele umgestürzte und auch nicht viele Schösslinge. Sie leben lange, sehr lange.« Seine Stimme war ganz sanft geworden, fast verträumt. »Du kannst ewig in ihrem Schatten wandeln, in ihrem Licht, und kommst doch nie ans Ende.«
»Aber ist denn Rok eine so große Insel?«
Er schaute sie friedlich an, lächelnd. »Die Wälder hier auf dem Berge Gont sind jener Wald«, sagte er. »Alle Wälder sind es.«
Und nun sah sie den Hain. Lebannen folgend, waren sie durch die gewundenen Straßen der Stadt Thwil hier herauf gelaufen, einen Schwarm von Stadtbewohnern und Kindern hinter sich her ziehend, die gekommen waren, ihren König zu sehen und willkommen zu heißen. Die fröhlichen Schaulustigen blieben nach und nach zurück, als die Wanderer die Stadt auf einem Weg verließen, der sich zwischen Hecken und Bauernhöfen hindurchschlängelte
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