Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
noch verletzender auf Ged wirkte. »Sie sehen so finster drein, Sperber, ging etwas daneben mit Ihren Gaukeleien?«
Ged, der immer darauf aus war, sich mit Jasper auf gleiche Höhe zu stellen, überhörte die in der Frage enthaltene Ironie und erwiderte: »Ich habe die Nase voll von Gaukeleien und Illusionstricks, die nur dazu da sind, Fürsten zu belustigen, die nichts weiter tun, als auf ihren Landsitzen und Schlössern zu hocken. Die einzig wahre Magie, die man mir hier auf Rok beigebracht hat, sind der Werlichtzauber und etwas vom Wettermachen. Der Rest ist Narretei.«
»Selbst Narretei kann gefährlich sein«, sagte Jasper, »wenn sie gehandhabt wird von Narren.«
Ged zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag erhalten, und er trat auf Jasper zu, aber der ältere Junge lächelte nur, als hätte er keine Beleidigung beabsichtigt, neigte den Kopf leicht in seiner gezierten und doch anmutigen Art und ging weiter. Wut brannte in Geds Herzen, als er ihm nachblickte, und er schwor sich, diesen Rivalen auszustechen; nicht in einem bloßen Illusionswettspiel, sondern in einer wirklichen Machtprobe. Er, Ged, würde triumphieren, und Jasper müßte klein beigeben. Er konnte nicht zulassen, daß dieser Schnösel auf ihn herunterschaute, so freundlich, so manierlich und so widerlich.
Es fiel Ged nicht ein, darüber nachzudenken, warum Jasper ihn hassen könnte. Er wußte nur, warum er ihn haßte. Die anderen Schüler hatten längst gelernt, daß sie sich weder im Ernst noch im Spiel mit Ged messen konnten, und sagten, manche neidisch, andere respektvoll: »Der ist ein geborener Zauberer, den kann man nicht schlagen.« Nur Jasper lobte ihn nicht und ging ihm auch nicht aus dem Weg; er lächelte nur und schaute auf ihn herab. Und deswegen konnte ihn Ged nicht ertragen; er sah in ihm einen Rivalen, über den er triumphieren mußte.
Ged merkte nicht, daß diese Rivalität, an der er sich festklammerte und in die er seinen Stolz setzte, etwas von der Gefahr und Dunkelheit enthielt, vor der ihn Meister Hand so gütig gewarnt hatte.
Wenn der Zorn nicht in ihm brannte, dann wußte Ged sehr wohl, daß er sich nicht mit Jasper oder den anderen älteren Jungen messen konnte, und er widmete sich ganz seinen Studien und ging seiner Arbeit nach wie gewöhnlich. Gegen Ende des Sommers ließ der Druck etwas nach, und es blieb mehr Zeit übrig für Sport und Spiel. Unten im Hafen fanden Regatten mit magisch angetriebenen Booten statt, in den Innenhöfen des Großhauses wurden Kunststücke und Illusionstricks vorgeführt, und während der langen Sommerabende veranstalteten die Schüler wilde Versteckspiele in den Wäldern und Anlagen, bei denen die Suchenden und die sich Versteckenden unsichtbar waren. Man hörte nur lachende, rufende Stimmen zwischen den Bäumen schallen, die den flinken, flackernden Werlichtern nachjagten. Als dann der Herbst kam, fing das ernsthafte Studium der Magie von neuem an. So vergingen Geds erste Monate auf Rok. Sie waren angefüllt mit viel Neuem und Wunderbarem, versetzten ihn selbst aber oft in heftige innere Bewegungen.
Der Winter gestaltete sich ganz anders. Ged wurde, zusammen mit sieben anderen Jungen, ans andere Ende der Insel geschickt, ins nördlichste Vorgebirge, dorthin, wo der uralte Einsame Turm steht. Der Meister Namengeber, den man Kurremkarmerruk nannte, was in keiner Sprache etwas bedeutet, wohnte dort ganz allein. Meilenweit um den Turm herum gab es weder Bauernhöfe noch Wohnhäuser. Grimmig blickte der Turm über einsame Felsen, grau hingen die Wolken über der winterlichen See, und endlos waren die Tabellen, Listen und Reihen von Namen, die von den Schülern auswendig gelernt werden mußten. Hoch oben im Turmzimmer saß Kurremkarmerruk an seinem hohen Pult, von seinen acht Schülern umgeben. Er schrieb lange Reihen von Namen auf, die noch vor Mitternacht auswendig gelernt werden mußten, denn dann verblaßte die Tinte wieder, und nur das leere Pergament blieb zurück. Es war kalt, halbdunkel und immer ruhig in diesem Raum, nur das Kratzen von des Meisters Feder und ab und zu das Seufzen eines Schülers waren zu hören, der noch vor Mitternacht die Namen aller Vorgebirge, Orte, Buchten, Meerengen, Hafen, Untiefen, Riffe und Felsen der Küste Lossows, einer kleinen Insel im pelnischen Meer, lernen mußte. Wenn ein Schüler sich beklagte, konnte es vorkommen, daß der Meister, ohne zu antworten, die Liste verlängerte oder sagte: »Wer Seemeister werden will, muß den Namen jedes
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