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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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ungeziert. Als er fertig war, brummte er etwas über die Güte des Essens vor sich hin, wandte sich dann zu Ged und sagte: »Es ist wenigstens keine Illusion. Man setzt an dabei.« Ged wußte nicht, was er damit meinte, aber der Junge gefiel ihm, und er war froh, daß er auch nach der Mahlzeit bei ihnen blieb.
    Später stiegen die beiden mit Ged den Berg hinunter und zeigten ihm die Stadt. Die Straßen von Thwil, die zwar kurz und nicht sehr zahlreich waren, wandten und drehten sich so kurios, daß man sich zwischen den schmalen, hohen Häusern leicht verirren konnte. Es war eine wunderliche Stadt mit wunderlichen Einwohnern. Zwar gab es Fischer, gelernte Handwerker und einfache Arbeiter wie in jeder anderen Stadt, aber auf der Insel der Weisen ist die Zauberei so alltäglich, daß die Leute von Thwil selbst halbe Zauberer sind. Sie antworten nie direkt, sondern reden in Rätseln (wie Ged selbst erfahren mußte); ohne mit der Wimper zu zucken, schauen sie zu, wie ein Junge sich in einen Fisch verwandelt oder ein Haus sich in die Lüfte erhebt, denn sie wissen, daß es nur Lausbubenstreiche sind, und ohne sich stören zu lassen, fahren sie fort, Schuhe zu besohlen oder Hammelfleisch zu metzgern.
    Die Jungen, die von der Stadt wieder hinauf zur Schule gestiegen waren, gingen an einer Hintertür vorbei, durch die Gärten des Großhauses und überquerten eine Holzbrücke, die über den klaren Thwilbach führte. Der Weg führte nach Norden, über Weiden und durch Wälder und wand sich steil bergauf. Sie kamen an Gruppen von Eichen vorbei, unter denen trotz der nachmittäglichen Helle dunkle Schatten lagerten. Links von ihnen, ziemlich nahe, lag ein solcher Hain, den Ged nur ganz unbestimmt wahrnehmen konnte; der Weg schien dorthin zu führen, erreichte ihn aber nie ganz. Vetsch sah, wie Ged daraufstarrte, und sagte leise: »Das ist der Immanente Hain. Wir dürfen da noch nicht hin, noch nicht …«
    Gelbe Blumen blühten auf den sonnigen Halden. »Funkenkraut«, sagte Jasper. »Das wächst überall dort, wo der Wind die Asche des brennenden Ilion hingetragen hat, damals als Erreth-Akbe die Innersten Inseln gegen den Feuerfürsten verteidigte.« Er pustete in eine der abgeblühten Dolden, und der Wind trug den befreiten Samen gleich vielen feurigen Funken gegen die Sonne. Der Weg führte weiter bergauf und wand sich um den Fuß eines hohen grünen Hügels, der rund und baumlos in die Höhe ragte. Es war der Kogel, den Ged vom Schiff aus gesehen hatte, als sie in die verzauberten Gewässer von Rok kamen. An der Seite des Kogels blieb Jasper stehen. »Daheim in Havnor habe ich viel von der Zauberkunst auf Gont gehört, immer nur Gutes, und schon lange wollte ich selbst einmal sehen, welche Bewandtnis es damit hat. Jetzt haben wir ja einen von Gont hier, und wir stehen auf dem Rokkogel, dessen Wurzeln bis ins Erdinnere reichen. Hier wirken alle Künste besonders stark. Machen Sie uns einen Trick vor, zeigen Sie uns Ihre Kunst, Sperber!«
    Ged fühlte sich überrumpelt und verwirrt und schwieg.
    »Später, Jasper«, meinte Vetsch auf seine einfache, natürliche Art. »Laß ihn erst einmal eine Weile hier sein.«
    »Entweder hat er Erfahrung, oder er besitzt Macht. Sonst hätte ihn der Türhüter nicht hereingelassen. Warum kann er das nicht jetzt genausogut zeigen wie später? Stimmt’s, Sperber?«
    »Ich habe Erfahrung und Macht«, antwortete Ged. »Zeigen Sie mir, was Sie meinen.«
    »Oh, Illusionen, und natürlich Tricks, Erscheinungsspielereien – so wie das!«
    Jasper zeigte mit dem Finger auf den Hang und sprach ein paar seltsame Worte. Dort, wo er hindeutete, sah man plötzlich ein kleines Rinnsal zwischen dem grünen Gras, das sich allmählich vergrößerte, bis schließlich Quellwasser hervorbrach und den Hügel hinabfloß. Ged tauchte seine Hand ins Wasser, und sie fühlte sich naß an; er trank davon, und es war erfrischend kühl. Dennoch stillte es nicht seinen Durst, denn es war nur Illusion. Mit einem Wort brachte Jasper das Wasser zum Versiegen, und die Grashalme bewegten sich trocken in der Sonne. »Jetzt kommst du dran, Vetsch«, sagte er mit einem kühlen Lächeln.
    Vetsch kratzte sich am Kopf und schaute etwas unglücklich drein. Schließlich scharrte er etwas Erde mit der Hand zusammen und sang ziemlich unmelodisch vor sich hin, während er der Erde mit seinen dunklen Fingern Form gab, sie zusammendrückte und streichelte. Plötzlich erhob sich ein kleines Etwas aus seiner Hand, einer Hummel oder einem

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