Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
die wie neues Kupfer strahlte und eine Krone von Opalen im schwarzen Haar trug. Es kam selten vor, daß eine Frau in den Sälen des Großhauses weilte, und einige der alten Meister warfen etwas mißbilligende Seitenblicke auf sie, aber die jungen Männer konnten kaum die Augen von ihr abwenden.
»Für so eine«, sagte Vetsch zu Ged, »könnte ich unglaubliche Zaubereien produzieren …« Er seufzte und lachte.
»Sie ist doch nur eine Frau«, erwiderte Ged.
»Die Prinzessin Elfarran war auch nur eine Frau«, sagte Vetsch, »und um ihretwillen wurde ganz Enlad zerstört, und der Zauberheld von Havnor fiel, und die ganze Insel Soléa ging unter.«
»Alte Märchen«, sagte Ged. Aber dann betrachtete er die Fürstin von O doch näher, und fragte sich, ob sie genauso schön war wie die irdischen Schönheiten, von denen die alten Geschichten erzählten.
Der Meister der Lieder war fertig mit den Taten des jungen Königs, und alle stimmten in den Winterchoral ein, und als er zu Ende gesungen war, trat eine kleine Pause ein. Vor dem allgemeinen Aufbruch erhob sich Jasper und trat zu dem Tisch, der dem Feuer am nächsten stand, an dem der Erzmagier, seine Gäste und die Meister saßen, und wandte sich an die Fürstin von O. Er war kein Knabe mehr, sondern ein großer, gutaussehender junger Mann, dessen Umhang am Hals mit einer Silberbrosche geschlossen war, denn auch er war im vergangenen Jahr Zauberer geworden, und die Silberbrosche war Ausdruck dieser Beförderung. Die Fürstin lächelte zu seinen Worten, und die Opale in ihrem schwarzen Haar schimmerten verführerisch. Nachdem die Meister gnädig nickend ihre Zustimmung erteilt hatten, wirkte Jasper einen Illusionszauber für sie. Ein weißer Baum wuchs plötzlich aus dem Steinboden empor. Seine Zweige berührten die Dachbalken des hohen Saales, und an jedem Zweig glänzte ein goldener Apfel, jeder eine Sonne darstellend, denn es war der Jahresbaum. Plötzlich flatterte ein weißer Vogel zwischen den Ästen, mit einem Schweif wie fallender Schnee, und die goldenen Äpfel verblaßten. An ihre Stelle traten Samen, wie Kristalltropfen geformt. Die fielen von den Zweigen wie rauschender Regen, und die Luft war erfüllt von einem süßen Duft und umgab den sich leise bewegenden Baum, der feurige zartrosa schimmernde Blätter und weiße Sternblüten hervorbrachte. Langsam verblaßte die Illusion.
Der Fürstin von O entschlüpften Laute des Entzückens. Sie neigte das strahlende Haupt gegen den jungen Zauberer und würdigte seine Kunst mit den Worten: »Oh, kommen Sie doch zu uns nach O-Tokne! Kann er bitte kommen, mein Fürst?« Wie ein Kind, wandte sie sich an ihren gestrengen Gemahl. »Wenn meine Kunst meinen Meistern hier Ehre macht und wert ist, von Ihnen geschätzt zu werden, dann komme ich und stehe Ihnen zu Diensten.«
Diese Worten gefielen allen – außer Ged. Er stimmte zwar in das Lob ein, das sich ringsum erhob, aber in seinem Herzen sprach er voll Neid: Ich hätte es besser machen können. Und die Freude des schönen Abends war für ihn getrübt.
Das Freisetzen des Schattens
WÄHREND DES FRÜHLINGS sah Ged wenig von Vetsch und Jasper, denn als Zauberer durften sie mit dem Meister der Formgebung in der Abgeschlossenheit des Immanenten Haines studieren. Kein Lehrling durfte seinen Fuß dorthin setzen. Ged blieb im Großhaus bei den anderen Meistern und lernte die verschiedenen Künste der Zauberei, die von denen ausgeübt werden, die Magie wirken, aber keinen Stab tragen: das Wind- und Wettermachen, das Finden und Binden, die Künste der Wahrsager, Sänger, Heil- und Kräuterkundigen. Des Nachts in seiner Zelle, mit einem Buch und einem Werlicht, das ihm als Lampe oder Kerze diente, studierte er die Sonderrunen und die Runen von Éa, die für die Hauptzauberformeln benutzt werden. Alle diese Künste fielen ihm leicht, und unter den Schülern wurde gemunkelt, daß der eine oder andere Meister den Jungen aus Gont für den begabtesten hielt, der je in Rok gewesen war. Gerüchte gingen auch um, die den Otak für einen verwunschenen Geist hielten, der Ged seine Geheimnisse zuflüsterte, und es gab auch welche, die behaupteten, daß der Rabe des Erzmagiers Ged als den ›zukünftigen Erzmagier‹ willkommen geheißen habe. Aber ganz gleich, ob sie nun an diese Gerüchte glaubten oder nicht, ob sie Ged mochten oder nicht, die meisten Mitschüler bewunderten ihn und warteten nur darauf, mit ihm zu spielen, wenn ihn, was selten vorkam, die Lust dazu packte und er sich
Weitere Kostenlose Bücher