Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
habe genug von Kindern, Krach und Dummheiten«, grollte er.
»Du wirst eben alt, mein Junge«, meinte Vetsch von oben herab. »Für den, der die Stille und Trübsal liebt, bleibt ja noch immer der Turm«, schlug einer der jüngeren Burschen vor.
Ged fragte Jasper: »Was wollen Sie denn dann?«
»Ich suche den Umgang mit Ebenbürtigen«, erwiderte Jasper. »Komm, Vetsch, überlassen wir die Kinder ihren Kindereien.«
Ged wandte sich ihm zu: »Was hat denn ein Zauberer einem Lehrling voraus?« fragte er. Seine Stimme war ruhig, doch plötzlich verstummte alles. In seinem Ton und in Jaspers Stimme lag soviel Schärfe, daß die Feindschaft zwischen ihnen offenbar wurde wie ein aus der Scheide gezogenes blankes Schwert.
»Macht«, sagte Jasper.
»Meine Macht ist so groß wie die Ihre, in jeder Kunstart.«
»Fordern Sie mich heraus?«
»Ich fordere Sie heraus.«
Vetsch war auf den Boden geplumpst und schob sich nun mit entschlossener Miene zwischen beide. »Ihr wißt genau, daß es uns untersagt ist, Zauberduelle abzuhalten. Hört auf!«
Aber Ged und Jasper schwiegen. Natürlich kannten sie das Gesetz von Rok, und sie wußten auch, daß es nur Güte war, die Vetsch zum Einschreiten trieb, während in ihnen der Haß brannte. Trotzdem schürten seine Worte nur das Feuer, anstatt es zu lindern. Sekunden vergingen. Dann trat Jasper etwas zur Seite, als ob er nur mit Vetsch sprechen wolle, und sagte mit überlegenem Lächeln: »Es wäre vielleicht gut, wenn du den Geißenhirten noch einmal an das Gesetz erinnertest, das ihn beschützt. Er sieht verstimmt aus. Ich möchte wissen, ob er wirklich erwartet hat, daß ich mich von ihm fordern ließe, einem Hirtenbuben, der nach Ziegen stinkt und noch nicht einmal etwas von der Erstverwandlung weiß.«
»Jasper«, sagte Ged, »was wissen Sie denn von dem, was ich weiß?«
Einen kurzen Augenblick lang war Ged vor ihren Augen verschwunden, ohne daß sie ihn ein Wort hätten sprechen hören. Dort, wo er gestanden hatte, flatterte ein mächtiger Falke, den gekrümmten Schnabel zum Schrei geöffnet. Der Augenblick verging. Ged stand wieder vor ihnen im Licht der flackernden Fackeln, und sein dunkler Blick war auf Jasper geheftet.
Jasper war erstaunt zurückgewichen, aber jetzt zuckte er nur die Achseln und sagte: »Eine Illusion.«
Die anderen flüsterten untereinander. Vetsch sagte: »Das war keine Illusion. Das war eine richtige Verwandlung. Und damit sei’s genug. Jasper, hör zu …«
»Damit hat er nur bewiesen, daß er heimlich, hinter dem Rücken des Meisters, im Buch der Verwandlungen las. Was hat er denn noch gemacht? Verraten Sie’s uns doch, Ziegenhirte! Mit Vergnügen beobachte ich, wie Sie sich Ihre eigene Grube graben. Je mehr Sie versuchen, mir ebenbürtig zu sein, desto besser sieht man, wer Sie sind.«
Das war zuviel für Vetsch, und er wandte sich von Jasper ab und sagte leise zu Ged: »Sperber, bitte sei ein Mann, und mach nicht weiter … Komm, laß uns gehen …«
Ged schaute seinen Freund lächelnd an und sagte: »Kannst du Hög eine Weile für mich halten, bitte?« Er nahm den kleinen Otak herunter, der wie gewöhnlich auf seiner Schulter ritt, und setzte ihn in Vetschens Hände. Noch nie hatte sich der Otak von einem anderen berühren lassen, aber nun blieb er bei Vetsch, kletterte ihm am Arm hinauf und kauerte sich auf seine Schulter. Seine glänzenden großen Augen ließen aber keinen Augenblick lang ab von seinem Herrn.
»Nun, Jasper« – Geds Stimme war genauso gelassen wie zuvor –, »was werden Sie tun, um Ihre Überlegenheit zu beweisen?«
»Ich müßte gar nichts tun, Ziegenhirte, aber ich werde etwas tun. Ich gebe Ihnen nämlich eine Gelegenheit – eine gute Gelegenheit. Der Neid frißt an Ihnen wie der Wurm am Apfel. Nun ja, lassen wir doch den Wurm herauskommen. Damals am Rokkogel brüsteten Sie sich, daß sich gontische Zauberer in keine Spielereien einlassen. Nun, gehen Sie jetzt zum Rokkogel, und zeigen Sie uns, was man sonst in Gont macht. Und danach zeige ich Ihnen vielleicht etwas, was man wirklich Zauberei nennen kann.«
»Ja, das würde ich mir ganz gerne anschauen«, antwortete Ged. Die jüngeren Burschen, die daran gewöhnt waren, Ged beim kleinsten Verdacht einer Beleidigung aufbrausen zu sehen, staunten nun über seine Gelassenheit. Vetsch aber betrachtete ihn nicht mit Erstaunen, sondern mit Besorgnis. Noch einmal versuchte er, sich einzuschalten, aber Jasper sagte: »Misch dich nicht ein, Vetsch! Wie werden Sie
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