Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
als Anführer zu ihnen gesellte und in wildem Spiel während der immer länger werdenden Frühlingsabende mit ihnen herumtobte. Die meiste Zeit jedoch kannte er nur seine Arbeit, und sein Stolz und sein leicht aufbrausendes Wesen sonderten ihn ab. Keiner unter ihnen stand ihm nahe. Vetsch war abwesend, und er wußte nicht, daß er sich nach einem Freund sehnte.
Ged war erst fünfzehn Jahre alt und für einen, der bereits in die Künste der stabtragenden Zauberer und Magier eingeweiht wurde, sehr jung; aber er lernte die Illusionskünste so rasch, daß der Meister der Verwandlungen, der selbst noch ziemlich jung war, Ged bald gesondert von den anderen Schülern unterrichtete. Er erzählte ihm von der wahren Verwandlungskunst, wie bei jeder Verwandlung das Ding, das verwandelt wird, erst umbenannt werden und diesen neuen Namen behalten muß, solange die Verwandlung anhält. Er stellte ihm vor, welchen Einfluß dieses verwandelte Etwas auf die Namen und Wesen der ihn umgebenden Dinge ausübt. Er sprach von den Gefahren, die bei einer Verwandlung bestehen, vor allem wenn ein Zauberer sich selbst verwandelt und Gefahr läuft, in seinem eigenen Bann gefangen zu werden. Und nach und nach – gewiß, daß der Knabe ihm folgen konnte – tat er mehr, als nur von den Mysterien der Verwandlungen zu reden. Er lehrte ihn zunächst die eine, dann die andere Verwandlungsformel und gab ihm das Buch der Verwandlungen zu lesen und zu studieren. Dies alles geschah ohne Wissen des Erzmagiers, und es war nicht weise gehandelt, aber die Absichten des Meisters waren lauter.
Es war Ged nun auch vergönnt, mit dem Meister des Gebietens zu arbeiten, aber dieser Meister war gestreng. Die ernste und gefährliche Zauberkunst, die er lehrte, hatte ihn rasch altern lassen und zu einem harten Mann gemacht. Er hatte nichts mit Illusionen zu tun, seine Kunst war die der wahren Magie. Er gebot den Energiequellen – wie dem Licht, der Wärme und der Kraft, die eine Magnetnadel zu sich dreht – und allen jenen Kräften, die der Mensch als Gewicht, Gestalt, Farbe und Ton wahrnimmt. Es waren Kräfte, die aus dem unendlichen, grenzenlosen Weltall stammen, die keines Magiers Sprüche zu erschöpfen oder aus dem Gleichgewicht zu bringen vermögen. Die Künste des Wettermachers und Seemeisters, die den Winden und dem Wasser gebieten, waren den Schülern nicht neu, aber von diesem Meister lernten sie, warum der wahre Zauberer die Künste nur dann wirkt, wenn die Not ihn dazu zwingt, denn das Herbeirufen dieser elementaren Kräfte verändert die Erde, von der sie schließlich selbst ein Teil sind. »Regen in Rok kann Dürre in Osskil bedeuten«, sagte er. »Und eine Meeresstille in den Ostbereichen kann zu Sturm und Zerstörung im Westen führen, falls ihr nicht genau wißt, was ihr tut.«
Über die Kunst, die ein Zauberer und Magier als das Höchste betrachtet und die seine ganze Macht unter Beweis stellt, das Herbeirufen lebendiger Wesen und Menschen, das Erwecken der Toten und das Sichtbarmachen des Unsichtbaren, darüber sprach der Meister des Gebietens kaum. Ged versuchte ein- oder zweimal ihn zu veranlassen, mehr über diese tiefsten Geheimnisse seiner Kunst zu verraten, aber er schaute ihn nur lange und durchdringend an, worauf Ged unruhig wurde und nicht weiter fragte.
Manchmal stahl sich diese Unruhe auch in sein Herz, wenn er mit den niedrigeren Formeln des Gebietens arbeitete. Bestimmte Runen auf bestimmten Seiten des Runenbuches kamen ihm bekannt vor, obwohl er sich nicht erinnerte, in welchem Buch er sie schon gesehen hatte. Es gab auch bestimmte Sätze, die bei gewissen Beschwörungsformeln ausgesprochen werden mußten, die ihm nicht leicht über die Lippen flossen. Es war ihm dann, nur einen kurzen Augenblick lang, als sähe er Schatten in einem dunklen Raum, als stünde er hinter einer geschlossenen Tür, und ein Schatten an der Türecke versuche, nach ihm zu greifen. Er bemühte sich dann immer sofort, diese Gedanken und Erinnerungen zu verscheuchen, und versuchte sich einzureden, daß diese Momente voll Furcht und Dunkelheit nur die Schatten seiner Unwissenheit waren. Je mehr er lernte, desto weniger hätte er sie zu fürchten, bis er schließlich, nachdem er alle Künste des Zauberwesens gemeistert hatte, gar nichts mehr auf dieser Welt zu fürchten hatte.
Im zweiten Sommermonat versammelte sich die ganze Schule im Großhaus, um das Mondfest und den Langtanz zu feiern. Beide Feste fielen dieses Jahr zusammen, was nur alle
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