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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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haben Sie ihn noch?«
    »Nein, ich habe ihn nicht mehr.«
    Vetsch schaute ihn fragend an, aber er schwieg, erst viel später erfuhr er es, als sie beide allein an der aus Steinen gebauten Feuerstelle in Vetschens Haus saßen.
    Obgleich er der oberste Zauberer auf der ganzen Insel Iffisch war, zog es Vetsch vor, hier in Ismay, in dieser kleinen Stadt, wo er geboren war, zusammen mit seinem jüngeren Bruder und seiner Schwester zu wohnen. Sein Vater war ein wohlhabender Überseekaufmann gewesen, und das Haus war geräumig, aus starken Balken gebaut, und man sah den Wohlstand an den feinen Töpferwaren, den schönen gewebten Behängen und Decken, den Behältern aus Bronze und Messing, die auf geschnitzten Brettern und Truhen standen. In einer Ecke des großen Raumes stand eine mächtige taonische Harfe, und in einer anderen Ecke stand Jarros Webstuhl, dessen hoher Rahmen mit Elfenbein eingelegt war. Man merkte, daß Vetsch trotz seines einfachen, biederen Wesens ein gar mächtiger Zauberer und Herr über einen stattlichen Haushalt war. Außer ihm gab es ein paar ältere Bedienstete, denen man ansah, daß es ihnen in diesem Haus wohl erging; dann waren noch sein jüngerer Bruder, ein munterer Knabe, und Jarro da, die sie flink und schweigsam wie ein kleiner Fisch beim Abendessen bedient hatte und auch mit ihnen gegessen hatte; sie war ihrer Unterhaltung aufmerksam gefolgt, später aber war sie in ihr eigenes Zimmer verschwunden. Alles hier war gediegen und friedlich, sicher. Ged blickte in dem vom Feuer erhellten Raum umher und seufzte: »So sollte man leben.«
    »Ja, das ist eine Art zu leben, es gibt auch andere. Aber jetzt, mein Freund, erzähl mir, was du erlebt hast, seit wir uns das letzte Mal – zwei Jahre sind es jetzt schon her – gesehen haben, und was dich hierhergeführt hat. Und sag mir, warum du herumfahren mußt, denn ich merke wohl, daß du nicht lange hier verweilen wirst.«
    Ged erzählte ihm alles, und als er geendet hatte, blieb Vetsch lange nachdenklich sitzen, ohne zu reden. Dann sagte er: »Ich werde dich begleiten, Ged.«
    »Nein.«
    »Doch, ich komme mit.«
    »Nein, Estarriol, nicht über dir hängt dieses Unheil, nicht dir ist es auferlegt. Ich werde es allein vollenden, ich will nicht, daß ein anderer dadurch zu Schaden kommt – und du am allerwenigsten, denn du warst es, der damals, ganz am Anfang, versucht hatte, meiner Hand Einhalt zu gebieten, Estarriol …«
    »Stolz war schon seit jeher dein hervorstechendstes Merkmal«, sagte sein Freund lächelnd, als handle es sich um eine Kleinigkeit. »Denk so: Es ist dein Schicksal, deine Aufgabe. Das steht fest, aber wenn es mißlingt, sollte dann nicht einer dasein, der die Botschaft ins Inselreich trägt? Denn der Schatten wäre dann eine furchtbare Bedrohung. Und wenn du dieses Unding bezwingst – sollte nicht ein Zeuge dasein, der es im Inselreich verbreiten kann, damit dieser Tag gewürdigt und besungen wird? Ich weiß, daß ich dir nicht helfen kann, aber ich glaube, daß ich mitgehen sollte.«
    Vetsch redete so überzeugend, daß Ged schließlich nachgab, aber er sagte: »Ich hätte heute nicht hierbleiben sollen. Ich habe es geahnt, aber ich blieb trotzdem.«
    »Zauberer treffen sich nicht durch Zufall, mein Freund«, sagte Vetsch. »Und im übrigen hast du es ja selbst gesagt: Ich war ganz am Anfang dabei, und deswegen ist es nicht mehr als recht und billig, daß ich auch am Ende dabei bin.« Er legte neues Holz auf, und beide saßen da und blickten in die Flammen.
    »Von einem habe ich seit jener Nacht auf dem Rokkogel nie mehr gehört, und es hat mir der Mut gefehlt, jemanden nach ihm zu fragen: Ich meine Jasper.«
    »Er hat nie den Stab erworben. Er hat im gleichen Sommer noch Rok verlassen und zog als Zauberer des fürstlichen Haushalts von O-Tokne auf die Insel O. Mehr weiß ich auch nicht.«
    Wieder schwiegen sie, schauten in die Flammen und waren um die Wärme an ihren Beinen und Gesichtern froh, denn draußen war es bitterkalt. Sie rückten auf der breiten Steineinfassung noch näher ans Feuer, so daß ihre Füße fast die glimmenden Scheite berührten.
    Schließlich sprach Ged leise: »Etwas fürchte ich, Estarriol. Ich fürchte es sogar noch mehr, wenn du mitgehst, als wenn ich allein ginge. Dort, in den Händen, in der schmalen Bucht, als ich mich dem Schatten zuwandte, war er nur eine Armeslänge weit weg von mir, und ich packte ihn – oder versuchte ihn zu packen. Und da war nichts, was ich halten konnte. Ich konnte ihn

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