Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
ausgeschlossen und allein draußen in der Kälte stehend, und sein Herz wurde ihm schwer, doch er wollte nicht zugeben, daß er traurig war. Es wurde Nacht, und noch immer wanderte er durch die Straßen und schob seine Rückkehr ins Wirtshaus hinaus. Er hörte einen Mann und ein Mädchen miteinander scherzen und an ihm vorbei auf den Marktplatz zugehen, und plötzlich drehte er sich um, denn er hatte die Stimme des Mannes erkannt.
    Er ging den beiden nach, um sie einzuholen, und bald war er neben ihnen. Im späten Dämmerlicht war er nur schwach von entfernten Laternen beleuchtet. Das Mädchen wich einen Schritt zurück, aber der Mann starrte ihn an, dann riß er den Stab hoch und hielt ihn zwischen sich und den Fremden, als Schranke gegen das Böse und um Unheilvolles abzuwehren. Das war mehr, als Ged ertrug, die Stimme brach ihm, als er sagte: »Ich dachte, du würdest mich erkennen, Vetsch.«
    Selbst jetzt zögerte Vetsch noch einen Augenblick lang.
    »Gewiß kenne ich dich«, sagte er und senkte seinen Stab, dann ergriff er Geds Hände und legte den Arm um Geds Schulter. »… natürlich kenne ich dich! Willkommen, mein Freund, willkommen! Welch ein schlechter Empfang, als ob du ein Geist wärst, der sich von hinten heranschleicht … Und ich habe auf dich gewartet und habe so nach dir Ausschau gehalten …«
    »Dann bist du also der Zauberer, auf den sie hier so stolz sind in Ismay? Ich habe mich gewundert …«
    »O ja, ich bin ihr Zauberer, aber hör mir erst zu, ich will dir erzählen, warum ich dich nicht gleich erkannte, mein Freund. Vielleicht habe ich zu sehr auf dich gewartet und nach dir Ausschau gehalten. Vor drei Tagen – warst du vor drei Tagen in Iffisch?«
    »Ich bin gestern gekommen.«
    »Vor drei Tagen habe ich dich in Quor gesehen, einem Dorf in den Bergen da oben. Das heißt, es war eine Gestalt, die deiner ähnlich war, vielleicht dein Doppelgänger. Er lief vor mir her, aus dem Dorf hinaus, und er bog gerade in eine Straße ein, als ich ihn sah. Ich rief, doch er antwortete nicht, ich ging ihm nach, doch ich fand niemanden, ich sah auch keine Spuren, aber der Grund war gefroren. Es war ganz seltsam, und als ich dich jetzt so aus dem Schatten hervortreten sah, dachte ich, daß es wieder ein Trick sein könnte. Verzeih, Ged, es tut mir leid!« Er redete Ged mit seinem wahren Namen an, aber so leise, daß das Mädchen, das ein wenig abseits stand, ihn nicht hören konnte.
    Ged antwortete, ebenso leise, weil er den wahren Namen seines Freundes aussprach: »Das macht nichts, Estarriol. Aber das hier bin ich, und ich bin froh, dich wiederzusehen.«
    Vetsch hörte in seiner Stimme mehr als nur die Freude über ihr Wiedersehen. Er hielt Ged noch immer an der Schulter fest und sagte jetzt in der Ursprache: »Mit Sorgen und aus der Dunkelheit kamst du, Ged, doch dein Kommen bringt Freude in mein Herz.« Dann fuhr er in Hardisch, mit dem Zungenschlag des Ostbereichs fort: »Komm, komm mit uns, wir sind auf dem Heimweg, es wird Zeit, daß wir aus der Dunkelheit herauskommen! Dies ist meine Schwester, die Jüngste in der Familie, hübscher als ich, wie du selbst sehen kannst, dafür weniger klug; sie heißt Jarro. Jarro, dies ist der Sperber, der Beste von uns allen und mein Freund.«
    »Herr Zauberer«, sagte das Mädchen und begrüßte ihn, indem es höflich den Kopf neigte und die Augen mit den Händen bedeckte, wie es Sitte ist unter den Frauen des Ostbereiches. Als sie die Hände hob, sah sie Ged aus hellen Augen schüchtern und ein wenig neugierig an. Sie mochte ungefähr vierzehn Jahre alt sein; sie war so dunkel wie ihr Bruder, nur viel schmaler und zierlicher. Auf ihrem Ärmel hielt sich ein geflügelter Drache, nicht länger als eine Hand, mit seinen Krallen fest.
    Zusammen gingen sie im Dämmerlicht die Straße hinunter, und Ged sagte, als sie nebeneinander herschritten: »Von den Frauen in Gont sagt man, daß sie mutig seien, aber ich habe dort noch kein Mädchen gesehen, das einen Drachen als Armband trug.«
    Jarro mußte daraufhin lachen, und sie antwortete: »Das ist doch nur ein Harreki – gibt es auf Gont keine Harrekis?« Dann wurde sie wieder schüchtern und bedeckte die Augen.
    »Nein, aber es gibt auch keine Drachen. Ist dieses Geschöpf denn kein Drache?«
    »Nur ein kleiner, der in Eichen wohnt und Wespen, Würmer und Spatzeneier frißt – aber er wird nie größer werden. Oh, mein Bruder hat mir oft von dem kleinen wilden Tier erzählt, das Sie hatten, von dem Otak –

Weitere Kostenlose Bücher