Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
Weile blieb alles still.
Der Erzmagier sprach schließlich: »Gestern abend hielten wir ein Konzil ab. Wir erörterten vieles. Wir beschlossen nichts. Ich möchte jetzt, im Licht des Morgens, von Ihnen hören, ob Sie an Ihrem Urteil festhalten oder es widerrufen.«
»Daß wir nichts beschlossen haben«, sagte der Meister der Kräuterkunde, ein untersetzter, dunkelhäutiger Mann mit ruhigen Augen, »das allein ist schon ein Beschluß. Denn im Hain wird die Form gegeben. Doch wir fanden dort nichts als Teilstücke.«
»Weil wir ganz einfach die ganze Form nicht sehen können«, ergänzte der grauhaarige Magier von Enlad, der Meister der Verwandlungen. »Wir wissen nicht genug: Gerüchte von Wathort, eine Botschaft aus Enlad. Beunruhigende Nachrichten, gewiß, die näher untersucht werden sollten. Aber eine solch riesenhafte Furcht zu erwecken, auf einer so ungenügenden Basis, scheint mir nicht ratsam. Unsere Macht ist doch nicht bedroht, nur weil ein paar Zauberer ihre Formeln vergessen haben.«
»Dem stimme ich bei«, sagte Meister Windschlüssel, ein hagerer Mann mit scharfen, weitspähenden Augen. »Haben wir denn nicht alle noch unsere Macht? Wachsen die Bäume denn nicht alle im Hain und schlagen neu aus? Und die Winde des Himmels, gehorchen die denn nicht unseren Worten? Wer fürchtet da um unsere Zauberkunst, die älteste Kunst der Menschheit?«
»Niemand«, ließ sich eine tiefe Stimme vernehmen, die dem Meister des Gebietens gehörte, einem jungen, großen Mann mit einem dunklen, edel geschnittenen Gesicht. »Kein Mensch, keine Macht kann Zauberkunst verhindern, oder die Worte der Macht zum Verstummen bringen. Denn es sind Worte des Schöpfens, und wer die zum Schweigen bringen kann, der kann die Welt zunichte machen.«
»Stimmt, und wer das vermag, der geht nicht nach Narveduen oder Wathort«, sagte der Meister der Verwandlungen. »Der stünde hier, an den Türen von Rok, und das Ende der Welt wäre nahe! Und so weit sind wir noch nicht!«
»Und doch stimmt etwas nicht«, sprach eine Stimme, die alle aufhorchen ließ. Sie kam aus einem mächtigen Brustkorb und gehörte einer kräftigen Gestalt; schwer wie eine eichene Tonne saß sie beim Feuer, und die Stimme klang wie eine Glocke so klar und voll. Der Meister der Lieder fuhr fort: »Wo ist der König, der nach Havnor gehört? Rok liegt nicht im Herzen der Welt. Der Turm, der mit dem Schwert von Erreth-Akbe gekrönt ist, der Turm, der den Thron von Serriadh, Akamber und Maharion birgt, dieser Turm steht im Herzen der Welt! Achthundert Jahre lang schon steht er leer! Wir haben die Krone, doch uns fehlt der König, der sie trägt. Wir haben die Verlorene Rune, die Königsrune, die Friedensrune, doch haben wir Frieden? Säße ein König auf dem Thron, dann hätten wir Frieden, und Zauberer könnten selbst in den entferntesten Bereichen ungehindert ihrer Kunst nachgehen. Das Gleichgewicht wäre hergestellt, und alles fände seinen rechtmäßigen Platz.«
»Das stimmt«, sagte Meister Hand, ein schlanker, mittelgroßer, beweglicher Mann mit hellen Augen, die jeden in ihren Bann schlugen. »Ich stimme mit Ihnen überein, Meister Sänger. Warum wundert man sich, daß die Zauberei mißlingt, wenn alles andere aus dem Gefüge ist? Wenn die Herde wandert, wird das schwarze Schaf dann im Gehege bleiben?«
Der Pförtner mußte bei diesem Vergleich lachen, doch er sagte nichts.
»Euch allen scheint es also«, sprach der Erzmagier, »daß kein Grund zur Besorgnis vorliegt, und wenn, dann nur zu der, daß unsere Länder schlecht regiert und die Künste und Hohen Wissenschaften vernachlässigt werden. Damit stimme ich überein. Im Süden ist schon fast kein friedlicher Handel mehr möglich, und von dort erreichen uns nur schlimme Gerüchte, und wer weiß etwas Zuverlässiges aus dem Westen, außer dieser Nachricht von Narveduen? Wenn Schiffe, so wie früher, ungehindert überall hinsegeln könnten und sicher zurückkämen, wenn unsere Länder in der Erdsee so eng wie früher verbunden wären, dann wüßten wir, wie es um die entfernten Gegenden steht, dann könnten wir entsprechend handeln. Und wir würden handeln! Denn wenn ein Prinz von Enlad Worte der Formgebung in einer Zauberformel spricht und sich ihres Gehaltes nicht sicher ist, und wenn der Meister Formgeber uns sagt, daß Angst an den Wurzeln nagt, doch nicht mehr sagen will, dann, meine Herren, liegt dann kein Grund zur Furcht vor? Klein ist die Wolke, die den mächtigen Sturm ankündigt.«
»Sperber,
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