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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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er: »Warte!«, als ob das Schiff im gleichen Augenblick absegeln würde, und rannte das Kopfsteinpflaster hinauf, zurück zu dem kleinen Laden. Er hatte Mühe, ihn wiederzufinden, denn mit den Straßen von Thwil schien es nicht ganz geheuer zu sein. Es kam ihm vor, als ob sich die Straßenecken ständig veränderten und verschöben. Endlich fand er die richtige Gasse und teilte die roten Perlenschnüre, mit denen der Eingang zum Laden verhängt war. Als er die Tinte kaufte, hatte er auf einem Tablett mit Schmuckstücken die Brosche einer wilden Rose aus Silber gesehen. Der Name seiner Mutter war Rose. »Ich möchte das hier kaufen«, sagte er in schroffem, prinzenhaftem Ton.
    »Eine sehr alte, feine Silberschmiedearbeit von der Insel O. Ich sehe, Sie wissen etwas Altes zu schätzen«, sagte der Ladenbesitzer und blickte auf den Griff – nicht auf die schmucke Lederscheide – von Arrens Schwert. »Das macht vier aus Elfenbein.«
    Arren zahlte den ziemlich hohen Preis, ohne zu zögern. Sein Beutel enthielt eine Menge dieser Elfenbeinmarken, die in den Innenländern als Geld dienen. Der Gedanke eines Geschenkes für seine Mutter machte ihn froh, und auch der Einkauf gefiel ihm. Als er den Laden verließ, ruhte seine Hand auf dem Degenknopf, und er setzte seine Füße fest, beinah etwas breitspurig, als er die Straße hinunterschritt.
    Am Abend vor seiner Abreise aus Enlad hatte ihm sein Vater dieses Schwert gegeben. Er hatte es mit Ehrfurcht empfangen und seither, als sei es seine Pflicht, getragen, selbst an Bord des Schiffes war es an seiner Seite. Er war stolz auf das Gewicht an seiner Hüfte, stolz auf das Gewicht seines hohen Alters auf seiner Seele. Denn es war Serriadhs Schwert gewesen, Morreds und Elfarrans Sohn; auf der ganzen Welt gab es kein älteres, außer dem Schwert von Erreth-Akbe, das auf dem Königsturm in Havnor ragte. Serriadhs Schwert war nie zur Seite gelegt oder verwahrt worden, immer wurde es getragen, doch die Jahrhunderte konnten ihm nichts anhaben, es war ungeschwächt, denn es war mit mächtiger Zauberkraft geschmiedet worden. Man sagte, daß es seinen eigenen Willen habe: Es ließe sich nur aus der Scheide ziehen, wenn es der Verteidigung des Lebens gelte; ging es dagegen um Rache, um Gier, Blutdurst oder einen Krieg, der um der Eroberung willen gefochten werde, so könne keine Macht der Erde es aus der Scheide bringen. Von ihm, dem größten Familienschatz, hatte Arren seinen Namen erhalten: Arrendek, wie man ihn als Kind gerufen hatte, »das kleine Schwert«.
    Er hatte es noch nie gebraucht, auch sein Vater und Großvater nicht, denn eine lange Zeit schon waltete Friede auf Enlad.
    Doch jetzt, auf der Straße einer fremden Stadt, auf der Insel der Zauberer, fühlte sich der Griff des Schwertes seltsam an. Er paßte sich nicht richtig seiner Hand an, und er war kalt. Das Schwert selbst war schwer und hinderte ihn am Gehen. Das Staunen, das er in sich gefühlt hatte, war noch in ihm, doch es wärmte ihn nicht mehr. Er ging hinunter zur Anlegestelle und gab dem Kapitän die Brosche für seine Mutter. Er verabschiedete sich und wünschte ihm eine gute Heimfahrt. Im Umdrehen schlug er unwirsch seinen Umhang über die alte, ungefüge Waffe, das tödliche Ding, das er geerbt hatte. Er ging nicht mehr breitspurig. »Was mache ich eigentlich?« fragte er sich, als er die engen Straßen, nicht eilends jetzt, zu dem festungsartigen Bau des Großhauses, der über der Stadt aufragte, hinaufstieg. »Wie kommt es, daß ich nicht heimkehre? Warum ziehe ich aus, um etwas zu suchen, das ich nicht verstehe, mit einem Mann, den ich nicht kenne?«
    Doch er fand keine Antworten auf seine Fragen.

Die Stadt Hort
    IN DER DUNKELHEIT , noch vor Anbruch des Morgens, zog Arren die einfache, getragene, doch reinliche Kleidung eines Schiffsjungen an, die man ihm gegeben hatte, und eilte durch die Flure des Großhauses zum Osttor, das aus poliertem Horn und dem Zahn eines Drachen geschnitzt war. Der Pförtner öffnete ihm und wies ihm lächelnd den Weg. Er ging die höchste Straße der Stadt entlang und folgte dann einem Pfad, der hinunter zu den Bootsschuppen der Schule führte und sich dann südlich entlang der Bucht von Thwil hinzog. Er konnte den Pfad in der Dunkelheit gerade noch ausmachen. Bäume, Dächer und Hügel waren nur verschwommene Schatten. Es war kalt, und nichts regte sich in der dunklen Luft. Alles verhielt sich still, alles hatte sich in sich selbst zurückgezogen. Nur ganz weit im Osten, über der

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