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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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konnte, sondern er brachte Stunden damit zu, Arren zu lehren, wie man bei starkem Gegenwind in der mit Felsriffen gespickten See östlich von Issel das Boot handhabt. In der zweiten Nacht begann ein heftiger, kalter Märzregen, doch er wirkte keinen Bann, um ihn abzuhalten. In der folgenden Nacht, die sie außerhalb des Hafens von Hort in der nebligen, kalten und stillen Dunkelheit zubrachten, überlegte sich Arren, ob der Erzmagier in der allerdings kurzen Zeit, die er ihn kannte, auch nur einen einzigen Zauber gewirkt hatte.
    Jedoch was das Segeln anbetraf, so konnte sich keiner mit ihm messen. Arren hatte während der drei Tage, die er mit ihm fuhr, mehr gelernt, als während der zehn Jahre in Berila, wo er oft in der Bucht im Wettspiel gesegelt und gerudert hatte. Und Magier und Segler waren im Grund nicht allzu verschieden, beide arbeiteten mit Meer und Himmel, beide zwangen sie die mächtigen Winde, ihren Händen zu gehorchen, beide brachten sie nahe, was ferne lag. Ob Erzmagier oder Falk der Händler, es lief letzten Endes auf das gleiche hinaus.
    Er war nicht gesprächig, doch sehr geduldig und verständnisvoll. Arrens gelegentliche Ungeschicklichkeiten ärgerten ihn nicht, er war nachsichtig und rücksichtsvoll, man konnte sich kaum einen besseren Reisegefährten wünschen, dachte Arren. Doch manchmal war er so in Gedanken versunken, daß er stundenlang schwieg, und wenn er dann endlich wieder redete, war seine Stimme rauh, und er schien durch Arren hindurchzublicken. Dies tat der Liebe, die Arren für ihn hegte, keinen Abbruch, doch vielleicht verringerte es das Gefallen, das er an ihm fand, denn es erfüllte ihn mit ehrfürchtigem Staunen. Sperber spürte dies vielleicht, denn in dieser nebligen Nacht vor der Küste der Insel Wathort begann er, ziemlich stockend, von sich selbst zu erzählen. »Ich will nicht unter Menschen gehen«, sagte er. »Ich versuche mir einzureden, daß ich frei bin … daß alles in Ordnung ist auf der Welt, daß ich kein Erzmagier, nicht einmal ein Zauberer bin, sondern Falk von Temere, ohne Verpflichtungen, ohne Ehren und Vorrechte, daß ich niemandem etwas schulde …« Er hielt inne und fuhr dann fort: »Sei vorsichtig, Arren, wenn die großen Entscheidungen an dich herantreten und du wählen mußt. Als ich jung war, mußte ich mich entscheiden zwischen einem beschaulichen Leben und einem tätigen. Und ich schnappte nach dem letzteren wie eine Forelle nach einer Fliege. Doch jede Handlung, jede Tat bindet dich an sich selbst und ihre Folgen und zwingt dich immer wieder zu weiterem Handeln. Selten geschieht es, daß du eine Zeitspanne zur Verfügung hast, so wie jetzt, zwischen dem Tun, wo du innehalten und ganz einfach nur da sein kannst, wenn du dir überlegen kannst, wer du nun eigentlich bist.«
    Wie konnte solch ein Mann, dachte Arren, sich fragen, wer oder was er sei? Er hatte geglaubt, daß Zweifel dieser Art nur jungen Menschen vorbehalten waren, die noch nichts geleistet hatten.
    Das Boot schaukelte hin und her in der großen kalten Dunkelheit.
    »Daher liebe ich das Meer«, drang Sperbers Stimme aus der Dunkelheit an sein Ohr.
    Arren verstand ihn, doch seine Gedanken liefen ihm voraus, wie sie es die vergangenen drei Tage und Nächte getan hatten, auf die Fahrt, auf das Ziel ihrer Reise zu. Und da sein Gefährte endlich in einer redefreudigen Stimmung schien, packte er die Gelegenheit beim Schopfe: »Glauben Sie, daß wir in Hort das finden, was wir suchen?«
    Sperber schüttelte den Kopf, entweder verneinend oder sein Nichtwissen ausdrückend.
    »Kann es sich um eine Plage, eine Heimsuchung, eine Pestilenz handeln, die von Land zu Land getrieben wird und die Ernte, die Herden und die Gemüter der Menschen zerstört?«
    »Eine Plage ist nur eine Störung des Gleichgewichts der Dinge. Dies jedoch ist etwas anderes. Der Geruch des Bösen haftet daran. Unter einer Plage würden wir leiden, doch wir würden nicht die Hoffnung verlieren und die Künste aufgeben und die Worte des Schöpfens vergessen. Die Natur geht nicht wider sich selbst. Jetzt aber handelt es sich nicht um eine Wiederherstellung des Gleichgewichts, eher um eine andauernde Störung. Nur eine Kreatur kann dies verursachen.«
    »Ein Mensch?« fragte Arren zögernd.
    »Wir Menschen.«
    »Wie?«
    »Durch einen grenzenlosen Durst nach dem Leben.«
    »Nach dem Leben? Aber es ist doch nicht falsch, leben zu wollen?«
    »Nein. Aber wenn wir einen Willen zur Macht in uns verspüren, der über das Leben

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