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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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dunklen See, war ein schwacher heller Streif zu erkennen, der Horizont, der sich der unsichtbaren Sonne entgegenwölbte.
    Er erreichte die Stufen des Bootsschuppens. Kein Mensch war zu sehen, nichts rührte sich. Der dicke Mantel und die Wollmütze waren warm, und doch fröstelte er, als er in der Dunkelheit wartend auf den Stufen stand.
    Der Schuppen saß wie ein großer schwarzer Schatten auf dem schwarzen Wasser. Plötzlich ertönte ein dumpfer, hohl klingender Ton, ein dröhnender Schlag, der dreimal wiederholt wurde. Arren fühlte, wie sich seine Nackenhaare sträubten vor Erregung. Ein langer Schatten glitt lautlos hinaus aufs Wasser.
    Es war ein Boot, und es bewegte sich geräuschlos zur Anlegestelle hin. Arren rannte hinunter zum Steg und sprang ins Boot.
    »Übernimm die Ruderpinne«, sagte der Erzmagier, eine behende schattenhafte Gestalt im Bug des Schiffes, »und steuere geradeaus, während ich das Segel setze.«
    Sie waren bereits weit draußen auf dem Wasser, als sich das Segel wie ein großer weißer Flügel vom Mast weg entfaltete und das immer heller werdende Licht auffing. »Aha, ein Westwind, der uns das Rudern aus der Bucht erspart. Zweifellos ein Abschiedsgeschenk von Meister Windschlüssel. Paß auf, Junge, das Boot steuert sich sehr leicht! So ist es gut. Ein Westwind und ein klarer Sonnenaufgang, heute, wo sich Tag und Nacht die Waage halten.«
    »Ist das die Weitblick ?« Arren hatte in Liedern und Geschichten von diesem Boot gehört.
    »Aber gewiß«, sagte der andere, der mit den Tauen beschäftigt war. Das Boot schlingerte und stieg auf, als der Wind an Stärke zunahm. Arren biß sich auf die Lippen und versuchte, geraden Kurs zu halten.
    »Es läßt sich leicht steuern, aber es ist etwas eigenwillig, ehrwürdiger Meister!«
    Der Erzmagier lachte. »Laß ihm seinen Willen. Das Boot ist auch weise. Hör zu, Arren!« Er hielt mit seiner Arbeit inne, und auf der Ruderbank kniend wandte er sich dem Jüngling zu. »Ich bin jetzt weder Herr noch Meister und du bist kein Prinz. Ich bin ein Händler und heiße Falk, und du bist mein Neffe und lernst bei mir den Seehandel. Du heißt Arren und wir kommen von Enlad. Aus welcher Stadt? Es muß eine große sein, falls wir auf einen ihrer Bürger treffen.«
    »Temere, an der Südküste? Die treiben Handel mit allen Bereichen.«
    Der Erzmagier nickte. »Aber«, sagte Arren zaghaft, »Sie haben nicht ganz den Zungenschlag von Enlad.«
    »Ich weiß. Ich habe eine gontischen Sprachfärbung«, sagte sein Gefährte lachend und blickte gegen den immer heller werdenden Osten. »Aber ich glaube, ich kann mir von dir leihen, was ich brauche. Also, wir kommen von Temere, in unserem Boot Delphin, und ich bin kein Herr, kein Magier und nicht Sperber, sondern – wie heiße ich?«
    »Falk, ehrwürdiger Herr!«
    Arren biß sich auf die Lippen.
    »Übung, Neffe«, sagte der Erzmagier, »Übung macht den Meister. Du warst noch nie etwas anderes als ein Prinz, während ich schon alles mögliche war und zum letzten, doch vielleicht nicht zum besten, sogar Erzmagier … Wir sind auf der Fahrt in den Süden und suchen etwas, dieses blaue Zeug, aus dem sie Anhänger schnitzen. Ich weiß, das wird in Enlad sehr geschätzt. Sie machen Amulette daraus gegen Rheuma, Verrenkungen, Halsweh und unüberlegtes Gerede!«
    Arren schwieg, dann lachte er, und als er den Kopf hob, erklomm das Boot eine lange Welle, und er sah den Rand der Sonne, der über dem Meer sichtbar wurde: ein goldener Flammenstreifen, eine Einladung in die Weite.
    Das kleine Boot tanzte im leichten Seegang munter auf und ab. Sperber hielt sich mit einer Hand am Mast fest und blickte in den Sonnenaufgang, der Tag und Nacht in gleiche Teile schied, und sang. Arren verstand die Ursprache, die Sprache von Zauberern und Drachen nicht, doch er vernahm Lob und Preis in diesem Gesang, und er spürte den mächtigen Rhythmus, der wie Ebbe und Flut, wie Tag- und Nachtgleiche ewig und verläßlich wiederkehrte. Möwen schrien im Wind, die Küste der Thwilbucht glitt links und rechts an ihnen vorbei, und die langen, lichtdurchfluteten Wogen trugen sie hinaus aufs Innenmeer.
    Von Rok nach Hort ist es nicht weit, doch sie verbrachten drei Tage auf See. Der Erzmagier hatte es eilig gehabt fortzukommen, aber jetzt, auf der Fahrt, ließ er sich Zeit. Der Wind wandte sich gegen sie, sobald sie die verzauberten Gewässer von Rok verlassen hatten, doch Sperber rief keinen magischen Wind in ihre Segel, wie es jeder Wettermacher tun

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