Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
Zukunft, die sie im Rauch und aus stehenden Gewässern lesen, nichts Gutes verheißt, und daß ihre Liebestränke fehlschlagen. Aber diese Frauen besitzen keine wahre Zaubermacht.«
»Wahrsagerei und Liebestränke bedeuten nicht viel, das stimmt. Doch was alte Frauen zu sagen haben, lohnt sich oft anzuhören. Nun, deine Botschaft wird von den Meistern hier auf Rok besprochen werden. Aber ich weiß nicht, welchen Rat sie deinem Vater erteilen werden, Arren. Denn Enlad ist nicht das erste Land, aus dem uns solche Kunde kommt.«
Die Fahrt aus dem Norden, an der großen Insel Havnor vorbei durch das Innenmeer nach Rok, war Arrens erste große Reise gewesen. Während der vergangenen Wochen hatte er zum ersten Mal Länder gesehen, die nicht zu seiner eigenen Heimat gehörten, und er bekam einen Begriff von den Entfernungen und Verschiedenartigkeiten, die es auf dieser Welt gab. Hinter den sonnigen Hügeln seiner Heimat hatte sich eine große Welt aufgetan, angefüllt mit Menschen. Er war noch nicht daran gewöhnt, dieses neue Wissen zu verwerten, und es dauerte eine Weile, bis er alles verstand. »Woher denn sonst noch?« fragte er ein wenig enttäuscht, denn er hatte gehofft, prompt wieder zurücksegeln zu können, mit genauen Anweisungen zur Behebung des Übels.
»Zuerst kamen sie aus dem Südbereich. Vor kurzem sogar aus dem Inselreich, aus Wathort. Man hat behauptet, daß auf Wathort keine Magie mehr geübt wird. Aber sicher ist nichts. Diese Gegend war schon immer aufrührerisch und der Piraterie hold, und wie man so sagt, das Lügen ist den Händlern des Südens angeboren. Doch die Geschichte bleibt sich immer gleich: Die Quellen der Zauberkraft sind versiegt.«
»Aber hier auf Rok …«
»Wir hier auf Rok haben nichts davon verspürt. Wir sind gegen Stürme, gegen Veränderungen, gegen alle Unbill geschützt, vielleicht zu gut geschützt. Was wirst du jetzt tun, Arren?«
»Ich werde wieder nach Enlad zurücksegeln, wenn ich meinem Vater den genauen Grund des Übels mitteilen und ihm sagen kann, wie es zu beheben ist.«
Wiederum blickte ihn der Erzmagier an, und dieses Mal blickte Arren, entgegen seines sonst so höflichen Benehmens, zur Seite. Er konnte nicht sagen, warum, denn nicht die geringste Spur von Unfreundlichkeit lag in dem Blick dieser dunklen Augen. Sie schauten ihn offen, ruhig und verständnisvoll an.
Alle Leute in Enlad schauten zu seinem Vater auf, und er war der Sohn des Prinzen. Kein Mensch hatte je gewagt, ihn nur als Arren, und nicht als den Prinzen von Enlad – Sohn des regierenden Prinzen – anzusehen. Der Gedanke, daß er nun dem Blick des Erzmagiers auswich, behagte ihm nicht, doch er konnte sich nicht dazu bewegen, ihn zu erwidern. Es schien ihm, als ob die Welt um ihn herum sich erweitere, und nicht nur Enlad war jetzt ganz klein und unbedeutend geworden, sondern auch er. In den Augen des Erzmagiers stellte er nur eine winzige Gestalt in der ungeheuren Weite meerumspülter Länder dar, die von der Dunkelheit bedroht wurden.
Er saß und zupfte am hellgrünen Moos, das zwischen den Sprüngen der Marmorplatten wuchs, und nach einer Weile hörte er seine eigene Stimme, die erst vor kurzem tiefer geworden war, sagen: »Ich werde tun, was Sie mich zu tun heißen!«
»Du hast deine Pflicht deinem Vater, nicht mir gegenüber zu erfüllen«, erwiderte der Erzmagier.
Seine Augen ruhten noch immer auf Arren, doch jetzt blickte der Junge auf. Als die Worte der Unterwerfung unter einen fremden Willen gesprochen worden waren, hatte er sich selbst vergessen. Jetzt erst erblickte er den Erzmagier, den größten Zauberer der Erdsee, den Mann, der die Schwarze Quelle von Fundar abgedämmt hatte, der den Ring von Erreth-Akbe aus den Gräbern von Atuan zurückgebracht und die tiefe Seemauer von Nepp erbaut hatte; er sah den Seefahrer, der das Meer von Astowell bis Selidor kannte, und er sah den noch einzig lebenden Drachenfürsten vor sich. Und dieser Mann kniete hier neben dem Brunnen, er war nicht sehr groß und nicht mehr jung, seine Stimme klang sanft, und seine Augen waren so tief wie die Nacht.
Arren sprang hastig von seinem Sitz auf und kniete feierlich, auf beiden Knien, vor ihm nieder. »Ehrwürdiger Herr«, stammelte er, »erlauben Sie mir, daß ich Ihnen diene!«
Seine Selbstsicherheit war verschwunden, sein Gesicht gerötet, und seine Stimme zitterte.
An der Hüfte trug er ein Schwert in einer Scheide aus neuem Leder, das rote und goldene Verzierungen trug; das Schwert selbst
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