Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu
Licht. Tenar streckte sich zu ihrer vollen Länge, um seine Wärme am Körper zu spüren. Nach einer Weile murmelte sie: »Er hat hier gelegen. Hecht. Genau unter uns.«
Ged gab ein schwach protestierendes Geräusch von sich.
»Jetzt bist du wirklich ein Mann«, stellte sie fest. »Hast zuerst Löcher in einen anderen Mann gebohrt und hast dann mit einer Frau geschlafen. Ich glaube, das ist die richtige Reihenfolge.«
»Still«, murmelte er, drehte sich zu ihr um, legte den Kopf auf ihre Schulter. »Nicht.«
»Ich will es, Ged. Der arme Mann! Ich habe kein Erbarmen in mir, nur Gerechtigkeit. Ich wurde nicht zu Mitleid erzogen. Liebe ist die einzige Gnade, die ich besitze. O Ged, fürchte mich nicht! Als ich dich kennenlernte, warst du ein Mann! Weder eine Waffe noch eine Frau können jemanden zum Mann machen, auch kein Zauber und keine andere Macht, nur er selbst.«
Sie ruhten in Wärme und süßem Schweigen.
»Erzähl mir etwas.«
Er murmelte schläfrig, aber zustimmend.
»Wieso hast du gehört, was sie sagten? Hecht, Flinko und der dritte. Wieso warst du gerade zu dieser Zeit genau an diesem Ort?«
Er stützte sich auf den Ellbogen, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Sein Gesicht war in seinem Seelenfrieden, seiner Erfüllung und seiner Zärtlichkeit so offen und verletzlich, daß sie hinaufgreifen und seinen Mund an der Stelle berühren mußte, wo sie ihn vor Monaten zum erstenmal geküßt hatte, was dazu führte, daß er sie wieder in die Arme schloß und das Gespräch nicht mit Worten fortgesetzt wurde.
Man mußte die Vorschriften einhalten. Am wichtigsten war, daß Tenar Reinbach und den anderen Pächtern des Eichenhofs mitteilte, sie habe anstelle des ›alten Herrn‹ einen Landarbeiter eingestellt. Sie tat das sofort und ohne Umschweife. Sie konnten nichts dagegen unternehmen, und er stellte auch keine Bedrohung für die anderen dar. Der Besitzanspruch einer Witwe hing davon ab, daß es keinen männlichen Erben oder Anspruchsberechtigten gab. Flints Sohn, der Seemann, war der Erbe, und Flints Witwe führte den Hof stellvertretend für ihn weiter. Wenn sie stürbe, würde Reinbach diese Aufgabe übernehmen; wenn Funke die Farm nie für sich beanspruchte, würde sie einem entfernten Vetter von Flint in Kahedanan zufallen. Die beiden Paare, denen das Land nicht gehörte, die aber, wie es auf Gont üblich war, den lebenslänglichen Nießbrauch an der Arbeit und den Einnahmen besaßen, konnten durch keinen Mann, den die Witwe einstellte, vertrieben werden, selbst wenn sie ihn heiratete. Tenar befürchtete jedoch, man könnte ihr übelnehmen, daß sie Flint nicht die Treue hielt; schließlich hatte sie ihn nicht so lange gekannt, wie es bei den Pächtern der Fall war. Zu ihrer Erleichterung erhoben sie überhaupt keine Einwände. Falk hatte durch den Stich mit der Mistgabel ihre Hochachtung gewonnen. Außerdem war es für eine Frau nur vernünftig, einen Mann im Haus zu haben, der sie beschützte. Wenn sie ihn ins Bett nahm – die Begierde der Witwen war sprichwörtlich. Und sie war schließlich eine Fremde.
Die Dorfbewohner waren größtenteils der gleichen Ansicht. Eine Zeitlang wurde geflüstert und gekichert, aber das war alles. Anscheinend war es leichter, ehrbar zu sein, als Tantchen Moor annahm; oder vielleicht kam es daher, daß gebrauchte Ware keinen großen Wert mehr besaß.
Sie fühlte sich durch diese Zustimmung genauso beschmutzt und entwürdigt, wie es bei einer Mißbilligung der Fall gewesen wäre. Nur Lerche ersparte ihr die Scham, indem sie sich überhaupt kein Urteil anmaßte und keine Worte – Mann, Frau, Witwe, Fremde – für das verwendete, was sie beobachtete, sondern einfach schaute und Tenar und Falk aufmerksam, neugierig, neidisch und großmütig beobachtete.
Weil Lerche Falk nicht durch die Worte Hirt, Lohnarbeiter, Mann der Witwe sah, sondern ihn selbst betrachtete, bemerkte sie vieles, das sie wunderte. Seine Würde und Einfachheit waren nicht größer als die anderer Männer, die sie kannte, aber die Qualität war ein wenig anders. Er besitzt Größe, dachte sie, gewiß nicht im Hinblick auf die Körpermaße, sondern in bezug auf Seele und Geist. »Der Mann hat nicht sein Leben lang unter Ziegen gelebt«, sagte sie zu Eppich. »Er weiß mehr über die Welt als über einen Bauernhof.«
»Ich würde sagen, daß er ein Zauberer ist, der verflucht wurde oder seine Macht auf andere Art verloren hat«, erklärte die Hexe. »So etwas kommt vor.«
»Aha«, meinte
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