Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu
Frauen schwiegen. Sie spannen und flickten schweigend neben dem Feuer, in Flints Haus.
Nach langer Zeit fragte Lerche: »Was ist aus dem Kerl geworden, dem Hirten, der ihnen hierher folgte? Du hast gesagt, daß er Falk heißt.«
»Er schläft dort drinnen.« Tenar deutete mit dem Kopf auf den hinteren Teil des Hauses.
»Ach«, sagte Lerche.
Das Rad schnurrte. »Ich kenne ihn von früher.«
»Ach so. Oben in Re Albi, nicht wahr?«
Tenar nickte. Das Rad schnurrte.
»Es hat Mut dazu gehört, den dreien zu folgen und sie in der Dunkelheit mit einer Mistgabel anzugreifen. Er ist kein junger Mann mehr, nicht wahr?«
»Nein.« Nach einer Weile fuhr Tenar fort: »Er war krank gewesen und brauchte Arbeit. Ich schickte ihn über den Berg hinüber, damit er Reinbach ausrichtete, er solle ihn aufnehmen. Aber Reinbach glaubt, daß er noch immer alles allein tun kann, und hat Falk als Sommerhirten hinaufgeschickt, oberhalb von Eichenbrunn. Er kehrte gerade von dieser Arbeit zurück.«
»Du wirst ihn wahrscheinlich weiter behalten?«
»Wenn er möchte«, antwortete Tenar.
Aus dem Dorf kam eine weitere Gruppe zum Eichenhof, wollte Gohas Geschichte hören, erzählen, wie sie zu der erfolgreichen Gefangennahme der Mörder beigetragen hatten, die Mistgabel betrachten, ihre vier langen Zinken mit den drei blutigen Flecken auf den Verbänden des Mannes namens Hecht vergleichen und über das Ganze noch einmal reden. Tenar war froh, als es Abend wurde, rief Therru herein und schloß die Tür.
Sie hob die Hand, um sie zu verriegeln. Dann ließ sie die Hand sinken und zwang sich, sich abzuwenden, ohne sie zu versperren.
»Sperber ist in deinem Zimmer«, teilte ihr Therru mit, die mit Eiern aus dem Kühlraum in die Küche zurückkam.
»Ich wollte dir erzählen, daß er hier ist – entschuldige.«
»Ich kenne ihn«, sagte Therru, die sich in der Vorratskammer Gesicht und Hände wusch. Als Ged mit schläfrigen Augen und ungekämmt hereinkam, ging sie geradewegs auf ihn zu und streckte die Arme aus.
»Therru«, sagte er, hob sie hoch und hielt sie fest. Sie umarmte ihn kurz, dann löste sie sich von ihm.
»Ich kenne den Anfang von der Erschaffung «, erzählte sie ihm.
»Singst du es mir vor?« Er warf Tenar wieder einen erlaubnisheischenden Blick zu und setzte sich an seinen Platz am Herd.
»Ich kann es nur aufsagen.«
Er nickte und wartete mit eher strengem Gesicht. Das Kind sagte:
Das Erschaffen des Vernichtens,
Das Ende des Anfangs,
Wer kann es sicher wissen?
Was wir kennen, ist der Weg zwischen ihnen,
den wir betreten, wenn wir fortgehen.
Unter allen jetzt wiederkehrenden Wesen,
der älteste, der Türhüter, Segoy …
Die Stimme des Kindes klang wie eine Drahtbürste, die über Metall gezogen wird, wie trockene Blätter, wie das Zischen des brennenden Feuers. Sie sprach bis zum Ende der ersten Strophe:
Dann brach aus dem hellen Schaum Éa.
Ged nickte kurz und anerkennend. »Gut.«
»Gestern abend«, sagte Tenar. »Sie hat es gestern abend gelernt. Es scheint ein Jahr zurückzuliegen.«
»Ich kann noch mehr lernen«, bemerkte Therru.
»Das wirst du tun«, versprach ihr Ged.
»Jetzt wasch bitte den Kürbis fertig«, erinnerte sie Tenar, und das Kind gehorchte.
»Was soll ich tun?« fragte Ged. Tenar hielt inne und sah ihn an.
»Der Kessel müßte gefüllt und erhitzt werden.«
Er nickte und ging mit dem Kessel zur Pumpe.
Sie kochten ihr Abendessen, verzehrten es und räumten ab.
»Sag das Erschaffen noch einmal so weit auf, wie du es kannst«, forderte Ged Therru auf, als er am Herd saß, »und wir werden dort weitermachen.«
Sie sprach die zweite Strophe einmal mit ihm, einmal mit Tenar, einmal allein.
»Bett«, sagte Tenar.
»Du hast Sperber nicht vom König erzählt.«
»Erzähl du es ihm«, meinte Tenar belustigt, weil es für Therru nur ein Vorwand war, um länger aufzubleiben.
Therru wandte sich Ged zu. Ihr Gesicht, narbenbedeckt und ganz, sehend und blind, war gespannt, glühte. »Der König kam mit einem Schiff. Er trug ein Schwert. Er schenkte mir den knöchernen Delphin. Sein Schiff flog, aber ich war krank, weil Flinko mich berührte. Aber der König berührte mich hier, und das Zeichen verschwand.« Sie zeigte den runden dünnen Arm her. Tenar starrte ihn an. Sie hatte das Zeichen vergessen.
»Einmal will ich dorthin fliegen, wo er lebt«, erklärte Therru. Ged nickte. »Das werde ich tun«, fuhr sie fort. »Kennst du ihn?«
»Ja. Ich kenne ihn. Ich habe mit ihm eine lange Reise
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