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Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K LeGuin
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Labyrinth des Palastes hinauswagen sollte, um herauszufinden, was er tun sollte, klopfte es an seiner Tür. Ein Mann brachte ein Tablett mit frischem Obst und Brot, einem Krug Milch und einem Napf mit Fleisch für das Kätzchen. »Ich werde kommen und Euch zum König geleiten, wenn die fünfte Stunde angezeigt wird«, teilte er Erle feierlich mit und erklärte ihm dann eher weniger förmlich, wie er gehen müsse, um in die Palastgärten zu gelangen, falls er einen Spaziergang machen wolle.
    Erle wusste natürlich, dass es von Mitternacht bis Mittag sechs Stunden waren und noch einmal so viele von Mittag bis Mitternacht, aber er hatte noch nie gehört, wie Stunden angezeigt wurden, und fragte sich deshalb verwundert, was der Mann wohl damit meinte.
    Wenig später erfuhr er, dass hier in Havnor vier Trompeter auf den obersten Balkon traten, über dem sich der höchste Turm des Palastes erhob - der, auf dessen Spitze die schlanke Stahlklinge des Schwertes des Helden blitzte. Zur vierten und fünften Stunde vor Mittag und zum Mittag selbst sowie zur ersten, zweiten und dritten Stunde nach Mittag bliesen sie ihre Trompete, einer nach Westen, einer nach Norden, einer nach Osten, einer nach Süden. So konnten die Höflinge des Palastes und die Händler und Schiffer der Stadt ihre Geschäfte verabreden und ihren Verabredungen zur vereinbarten Stunde nachkommen. Ein Knabe, dem er beim Lustwandeln in den Palastgärten begegnete, erläuterte ihm all dies, ein kleiner, dünner Knabe in einem Rock, der viel zu lang für ihn war. Er erklärte, dass die Trompeter wüssten, wann sie ihre Instrumente zu blasen hätten, weil es im Turm große Sanduhren gebe und überdies das Pendel des Ath, welches vom Dachstuhl des Turmes herabhänge und welches, so man es just zu Beginn der Stunde zum Schwingen bringe, exakt zu Beginn der darauf folgenden Stunde zu schwingen aufhöre. Und er erzählte Erle, dass die Melodien, die die Trompeter bliesen, allesamt Teile des Klagelieds für Erreth-Akbe seien, das König Maharion geschrieben habe, als er von Selidor zurückkam, jeweils ein anderer Teil für jede Stunde, doch nur zu Mittag spielten sie das ganze Lied durch. Und wenn man zu einer bestimmten Stunde irgendwo sein wolle, solle man die Balkone im Auge behalten, weil die Trompeter stets ein paar Minuten zu früh herauskämen, und wenn die Sonne scheine, hielten sie ihre silbernen Trompeten hoch, auf dass sie im Licht blitzten und funkelten. Der Knabe, der Erle all dies erzählte, hieß Rody; er war mit seinem Vater, dem Lord von Metama auf Ark, zu einem einjährigen Aufenthalt nach Havnor gekommen und ging im Palast zur Schule. Er war neun und vermisste seine Mutter und seine Schwester.
    Erle fand sich rechtzeitig zur verabredeten fünften Stunde wieder in seinem Zimmer ein, weniger nervös, als er es hätte sein können. Die Unterhaltung mit dem Kind hatte ihn daran erinnert, dass die Söhne von Herren Kinder waren, dass Herren Menschen waren und dass es nicht Menschen waren, die er fürchten musste.
    Sein Führer geleitete ihn durch die Gänge des Palastes zu einem langen, hellen Saal, dessen gesamte Seitenwand von Fenstern durchbrochen war, die einen atemberaubenden Blick über Havnors Türme und seine fantastischen Brücken boten, welche die Kanäle überspannten und ihre fein geschwungenen Bögen von Dach zu Dach und Balkon zu Balkon über die Straßen der Stadt schlugen. Er sah einen Ausschnitt dieses Panoramas, als er nahe der Tür innehielt, zögernd, unschlüssig, ob er weitergehen sollte zu der Gruppe von Personen am hinteren Ende des Raumes.
    Der König gewahrte ihn und kam ihm entgegen. Er begrüßte ihn freundlich, führte ihn zu den anderen und stellte sie ihm der Reihe nach vor.
    Die erste Person, mit der er ihn bekannt machte, war eine Frau von etwa fünfzig Jahren, klein, sehr hellhäutig, mit ergrauendem Haupthaar und großen grauen Augen: Tenar, sagte der König mit einem Lächeln, Tenar vom Ringe. Sie schaute Erle in die Augen und begrüßte ihn leise.
    Der Nächste war ein Mann ungefähr im Alter des Königs, in Samt und luftiges Linnen gekleidet, mit Edelsteinen an Gürtel und Hals und einem großen Rubin im Ohrläppchen: Schiffsmeister Tosla, stellte ihn der König vor. Toslas Antlitz, dunkel wie altes Eichenholz, war scharf geschnitten und hart.
    Sodann kam ein schlicht gekleideter Mann mittleren Alters mit einem festen, ruhigen Blick an die Reihe, der Erle sofort das Gefühl gab, dass er ihm vertrauen konnte: Prinz Sege

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