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Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K LeGuin
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zu bitten, mit uns zu der Insel Rok zu reisen.«
    Sie erwiderte nichts. Er sah, wie die zarten roten Schleier sich zu einem Oval teilten, als sie sie mit den Händen auseinander spreizte. Langgliedrige Hände mit goldfarbener Haut hielten die Schleier auseinander, um ihr Gesicht in dem roten Schatten zu enthüllen. Er konnte ihre Gesichtszüge nicht klar erkennen. Sie war nahezu so groß wie er, und ihre Augen schauten ihn geradewegs an.
    »Meine Freundin Tenar«, antwortete sie, »sagen: König sehen König, Gesicht und Gesicht. Ich sagen: Ja, ich will.«
    Halb verstehend, was sie meinte, verneigte sich Lebannen erneut. »Ihr tut mir Ehre an, Mylady.«
    »Ja«, sagte sie. »Ich tun Euch Ehre an.«
    Er zögerte. Dies war ein gänzlich anderes Terrain. Ihr Terrain.
    Sie stand gerade und still, die goldene Borte ihrer Schleier zitterte, ihre Augen blickten ihn aus dem Schatten an.
    »Tenar, Tehanu und Orm Irian sind sich darin einig, dass es gut wäre, wenn die Prinzessin des Kargadreiches uns auf die Insel Rok begleitete. Deshalb bitte ich Euch, mit uns zu kommen.«
    »Zu kommen.«
    »Auf die Insel Rok.«
    »Auf Schiff«, sagte sie und ließ plötzlich ein leises, klagendes Seufzen hören. Dann meinte sie: »Ich will. Ich will zu kommen.«
    Lebannen wusste nicht, was er sagen sollte. Er sagte: »Danke, Mylady.«
    Sie nickte einmal, Gleiche zu Gleichem.
    Er verbeugte sich. Er schied so von ihr, wie man ihn gelehrt hatte, von seinem Vater, dem Fürsten, bei förmlichen Anlässen am Hofe von Enlad zu scheiden: ihr nicht den Rücken zuzukehren, sondern rückwärts zu gehen.
    Sie blieb stehen, das Gesicht ihm zugewandt, und hielt ihren Schleier so lange auseinander, bis er die Tür erreicht hatte. Erst dann ließ sie die Hände sinken, und der Schleier schloss sich wieder, und er hörte, wie sie japste und scharf ausatmete, als wäre sie erschöpft von einer fast übermenschlichen Willensanstrengung.
    Mutig hatte Tenar sie genannt. Er verstand das nicht, aber er wusste, dass er die Gegenwart von Mut gespürt hatte. All der Zorn, der ihn erfüllt hatte, ihn hierher gebracht hatte, war verraucht, verflogen. Er war nicht heruntergesogen und erstickt worden, sondern vor einen Fels gebracht worden, einen hohen Ort in klarer Luft, eine Wahrheit.
    Er schritt hinaus durch den Raum, der voll war von Gemurmel, parfümierten, verschleierten Frauen, die vor ihm in die Dunkelheit zurückwichen. Unten plauderte er noch ein wenig mit Lady Opal und den anderen und hatte sogar ein freundliches Wort für die mit offenem Mund glotzende zwölfjährige Hofdame übrig. Er sprach gelassen mit den Männern seines Gefolges, die im Hof auf ihn warteten. Ruhig stieg er auf sein großes graues Ross. Still und gedankenvoll ritt er zurück zum Maharionspalast.
     
    Erle nahm mit fatalistischer Ergebenheit auf, dass er zurück nach Rok segeln sollte. Sein Wachleben war ihm so fremd geworden, traumhafter als seine Träume, dass er keine Kraft, keinen Willen mehr hatte, um Fragen zu stellen oder Einwände zu erheben. Wenn er denn dazu verdammt war, für den Rest seines Lebens von Insel zu Insel zu segeln, dann sollte es halt so sein; er wusste, so etwas wie Heimkommen gab es für ihn jetzt nicht mehr. Wenigstens würde er in Gesellschaft der Damen Tenar und Tehanu sein, die sein Herz erfreuten. Und auch der Zauberer Onyx hatte ihm Freundlichkeit zuteil werden lassen.
    Erle war ein scheuer Mann und Onyx ein zutiefst reservierter, und dann waren da noch all die Unterschiede hinsichtlich Wissen und Status, die es zu überbrücken galt; gleichwohl war Onyx mehrere Male an ihn herangetreten, um sozusagen von Fachkollege zu Fachkollege mit ihm zu sprechen. Dabei hatte er einen Respekt vor Erles Meinung an den Tag gelegt, der Letzteren verblüffte. Aber Erle konnte ihm sein Vertrauen nicht versagen; und so kam es, dass er, als die Zeit der Abreise nahte, Onyx die Frage stellte, die ihn die ganze Zeit geplagt hatte.
    »Es ist die kleine Katze«, sagte er verlegen. »Ich habe ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, sie mitzunehmen. Sie so lange eingepfercht zu halten. Das ist unnatürlich für ein junges Geschöpf. Und ich frage mich, was würde aus ihr werden ...«
    Onyx hakte nicht nach, was genau er meinte. Er fragte bloß: »Hilft sie Euch noch immer, Euch von der Steinmauer fern zu halten?«
    »Ja, oft.«
    Onyx sann nach. »Ihr braucht einen gewissen Schutz, bis wir in Rok sind. Ich habe gedacht... Habt Ihr schon mit dem Zauberer Seppel gesprochen?«
    »Dem

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