Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
der Steinmauer halten keine Bande.«
Erle schaute in das dunkle, sanfte, scharfäugige Gesicht des Hexers. »Warum ist das so?«, fragte er.
»Der Tod ist der, der die Bande zerreißt.«
»Warum sterben die Toten dann nicht?«
Seppel starrte ihn an, verdutzt.
»Entschuldigt«, sagte Erle. »Ich drücke mich in meiner Unwissenheit wohl falsch aus. Was ich meine, ist Folgendes: Der Tod zerreißt das Band zwischen Leib und Seele, und der Leib stirbt. Er wird wieder zu Erde. Aber der Geist muss zu jenem dunklen Ort gehen und einen Anschein, eine äußere Form des Körpers tragen. Und dort ausharren - wie lange? Für immer? In dem Staub und der Dunkelheit dort, ohne Licht, ohne Liebe, ohne jede Freude? Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass Lily dort ist. Warum muss sie dort ausharren? Warum kann sie nicht...«, er suchte nach dem richtigen Wort,»... frei sein?«
»Weil der Wind dort nicht weht«, sagte Seppel. Sein Gesichtsausdruck war fremdartig, seine Stimme harsch. »Er wurde am Wehen gehindert, durch die Kunst des Menschen.«
Er starrte Erle weiter an, aber erst allmählich sah er ihn wirklich. Der Ausdruck in seinen Augen und seinem Gesicht veränderte sich. Er schaute weg, hinauf zu der wunderschönen weißen Wölbung des Focksegels, das mit dem Odem des Nordwestwindes gefüllt war. Dann wandte er den Blick wieder auf Erle. »Ihr wisst ebenso viel von diesen Dingen wie ich, mein Freund«, sagte er, fast schon wieder mit seiner gewohnten Sanftmut. »Aber Ihr wisst es in Eurem Körper, in Eurem Blut, im Pulse Eures Herzens. Und ich weiß nur Wörter. Alte Wörter ... Wir tun also gut daran, nach Rok zu fahren, wo uns die weisen Männer vielleicht sagen können, was wir wissen müssen. Oder, wenn sie es nicht können, kann es vielleicht der Drache. Vielleicht werdet aber auch Ihr es sein, der uns den Weg weist.«
»Das würde in der Tat bedeuten, dass der Blinde die Sehenden zum Rand der Klippe führt!«, erwiderte Erle mit einem Lachen.
»Ah, aber wir stehen bereits am Rand der Klippe, mit geschlossenen Augen«, sagte der Hexer von Paln.
Lebannen fand das Schiff zu klein für die ungeheure Ruhelosigkeit, die ihn erfüllte. Die Frauen saßen unter ihrem kleinen Sonnensegel, und die Zauberer saßen unter ihrem wie die Enten in einer Reihe, aber er stapfte auf und ab, ungehalten ob der Enge des Decks. Er hatte das Gefühl, dass es seine Ungeduld war und nicht der Wind, die die Delphin so schnell gen Süden trieb, aber immer noch nicht schnell genug. Er wollte, dass die Reise endlich vorüber wäre.
»Erinnerst du dich an die Flotte auf dem Weg nach Wathort?«, fragte Tosla, der an die Seite seines Kameraden und Königs trat, als er in der Nähe des Steuermanns stand und die Karte und die klare See vor ihnen studierte. »Das war ein grandioser Anblick! Dreißig Schiffe in einer Reihe!«
»Ich wünschte, Wathort wäre unser Ziel«, sagte Lebannen.
»Ich habe Rok nie gemocht«, stimmte ihm Tosla zu. »Kein ehrlicher Wind, keine ehrliche Strömung vor jener Küste, nur Hexergebräu. Die Felsen vor der Nordküste sind niemals zweimal an derselben Stelle. Und die Stadt ist voller Betrüger und Gestaltwandler.« Er spuckte verächtlich nach Lee, wie es sich für einen erfahrenen Seebären gehörte. »Da würd ich fast lieber den alten Gore und seine Sklaventreiber wiedertreffen!«
Lebannen nickte, sagte aber nichts. Das war oft das Schöne an Toslas Gesellschaft: Er sprach das laut aus, von dem Lebannen das Gefühl hatte, dass er selbst es besser nicht sagte.
»Wer war noch der stumme Mann«, fragte Tosla, »der, der Falk auf der Mauer tötete?«
»Egre. Einstmals Pirat, dann Sklavenhändler.«
»Genau. Er erkannte dich, dort in Sorra. Ging geradewegs zu dir. Ich habe mich immer gefragt, warum.«
»Weil er mich einst versklavt hatte.«
Es war nicht leicht, Tosla zu verblüffen, aber der Seemann schaute ihn jetzt mit offenem Mund an. Offensichtlich glaubte er ihm nicht, aber da er nicht im Stande war, das zu sagen, sagte er gar nichts. Lebannen genoss die Wirkung seiner Worte eine volle Minute, dann bekam er Mitleid mit seinem alten Kampfgefährten und erlöste ihn.
»Als der Erzmagier mich auf die Jagd nach Cob mitnahm, wandten wir uns zuerst nach Süden. Ein Mann in der Stadt Hort verriet uns an die Sklavenjäger. Sie schlugen dem Erzmagier hart auf das Haupt, und ich rannte davon, weil ich dachte, ich könnte sie von ihm ablenken. Dabei war ich es, hinter dem sie her waren -ich war schließlich
Weitere Kostenlose Bücher