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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Regierende so etwas? Und warum schaffen es auch Staatsmänner (und -frauen) vermeintlich stabiler Systeme nicht, die Überlebensfähigkeit dieser Systeme zu sichern, obwohl sie eigentlich etwas tun, was sonst immer funktioniert hat?
    Was ist der eigentlich tiefere Sinn hinter der Torheit der Regierenden – das vermeintlich Richtige zu tun, und am Ende vor den Scherben der eigenen Politik zu stehen? Vordergründig betrachtet besteht die Torheit der Regierenden in der Blindheit gegenüber Katastrophen. Zugegeben – nicht jede Katastrophe ist vorhersehbar und in ihren Auswirkungen exakt kalkulierbar. Es sind häufig gerade die winzigen und zunächst unscheinbaren Ereignisse, die gewaltige und katastrophale Folgen nach sich ziehen können. Die Ereignisse in der arabischen Welt Anfang 2011 sind hierfür besonders einleuchtende Beispiele. Aber manche der Katastrophen, die wellenartig immer wieder über uns hinwegziehen, wären schon deutlich besser kalkulier- und damit auch handhabbar, wenn die Bereitschaft bestünde, alles, was vermeintlich unverbrüchlich ist, kritisch zu hinterfragen. Vielleicht muss diese Bereitschaft sogar so weit gehen, alle Glaubenssätze unserer Zeit bewusst ins Gegenteil zu verkehren, um sicherzustellen, dass die Fallen, die Überraschungsschocks so verheerend machen, nicht übersehen werden.
    Die Torheit der Regierenden besteht zum Zweiten im falschen, zumindest aber problematischen Umgang mit Informationen. Hier liegt die eigentliche Wurzel der meisten politischen Fehlentscheidungen. Nicht verfügbare Informationensind hier ebenso als Fehlerquelle festzustellen wie der Rückgriff auf falsche Informationen. Selbst beim Vorhandensein ausreichender Informationen kann ihre fehlerhafte Interpretation genauso in die Katastrophe führen wie die Folgen von Informationsüberlastung. Dies droht insbesondere dann, wenn sie sich mit der Unfähigkeit verbinden, entscheidungsrelevante Aspekte aus einem Wust an Informationen so herauszufiltern, dass der sprichwörtliche Mielke-Effekt, wie er in der Spätphase der DDR zu beobachten war, vermieden werden kann. Alle Informationen zu haben, heißt eben nicht automatisch, sie auch zielführend und effizient nutzen zu können. Gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen beständiger technologisch getriebener Beschleunigung wird Informationsmanagement zu einer der Kernanforderungen an stabilitäts- und effizienzorientiertes Regierungshandeln.
    Dieses Phänomen beschleunigter Komplexität birgt die eigentliche Gefahr für Fehlentscheidungen bei immer kleiner werdenden zeitlichen Entscheidungsspielräumen. Wirklich neu ist auch das nicht, aber dank Internet, E-Mail und Mobilfunk sind diese Entscheidungsspielräume heute praktisch auf null gesunken. Dass solche Situationen zeitlicher Informationsüberlastung schnell in die Katastrophe führen können, belegt eine häufig übersehene Deutung der Verkettung von Umständen und Entscheidungen, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geführt haben: »Hinterher beklagten Staatsmänner des Ersten Weltkrieges, dass der Krieg hätte vermieden werden können, wenn die Kommunikation in den Tagen vor der ersten Mobilmachung nicht per Fernschreiben geführt worden wäre. Das Problem, so sagten sie, war, dass keiner der Könige oder Außenminister in Europa sich an die Informationsgeschwindigkeit gewöhnt hatte und auch an die Quantität, die verfügbar wurde, als Telegrafen Briefe ersetzten. Und in ihrer Konfusion hatten sie das Gefühl, in der (damals atemberaubenden) Geschwindigkeit einer Telegrafenmaschine handeln und entscheiden zu müssen. Es zerstörte ihr Urteilsvermögen.« 22 Der Ausbau von Telefonverbindungen trug zusätzlich zur Beschleunigung bei. Aus heutiger Sicht war das aber noch Kommunikation im Schneckentempo. Der Gewöhnungseffekt handelnder Politiker und ihrer Berater ansolche Herausforderungen lässt sich praktisch nicht kontrollieren und prognostizieren. Unter Zeit- und Entscheidungsdruck passieren manchmal die schlimmsten Fehler. Wer sich noch erinnert, selbst handschriftliche Briefe verfasst zu haben, wird das Gefühl des Nachdenkens und sorgfältigen Formulierens, vielleicht auch das Innehalten vor dem Zukleben eines Kuverts noch kennen. In kritischen Situationen und bei sensitiven Inhalten kann eine solche zeitliche Verzögerung den Effekt von Schadensvermeidung, zumindest aber von Schadensbegrenzung haben. Im SMS- und E-Mail-Stil sind solche Phasen des Nachdenkens aus der Mode gekommen. Der Klick auf

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