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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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nur ungern und oft zu spät Abschied.
    Wer nun glaubt, bei der Diskussion des relativen Auf- und Abstiegs von neuen und alten Mächten auf eine der wichtigsten Herausforderungen des Westens gestoßen zu sein, hat einerseits wohl recht. Er sollte andererseits aber nicht vergessen, dass die Frage selbst alles andere als neu ist. Sie begleitete die politisch-strategischen Debatten zu allen Zeiten. Man kann auf das gewaltige Werk Paul Kennedys verweisen, der auf 500 Seiten den Aufstieg und Niedergang großer Mächte zwischen 1500 und 2000 vergleicht. 19 Man kann aber auch bei Theodor Fontane nachschlagen, der im 14. Kapitel seines Stechlin eine Formulierung gewählt hat, die solche Fragen unabhängig von Ort und Zeit beschreibt: »Das moderne Leben räumt erbarmungslos mit all dem Überkommenen auf. Ob es glückt, ein Nilreich aufzurichten, ob Japan ein England im Stillen Ozean wird, ob China mit seinen 400 Millionen aus dem Schlaf aufwacht und, seine Hand erhebend, uns und der Welt zuruft: ›Hier bin ich!‹ … das alles fällt ganz anders ins Gewicht als die Frage Quirinal oder Vatikan. Es hat sich überlebt und anstaunenswert ist nur das eine, dass es überhaupt noch so weitergeht. Das ist der Wunder größtes.« Befreit von den unmittelbaren Zeitbezügen könnten diese Sätze, geschrieben zwischen 1885 und 1887, doch wohl sehr treffend die heutige internationale Politik beschreiben. Déjà-vu, aber unter völlig neuen Rahmenbedingungen.
    Wenn es allzu »interessant« wird, fliehen wir gerne auf der Suche nach Orientierung in die Geschichte. Dort, so scheint es, lassen sich noch am ehesten historische Erfahrungen in Lösungsmuster übersetzen, die Anhaltspunkte für das Verständnis von Veränderungen liefern, aber auch Wege zur Wiedergewinnung von Stabilität aufzeigen.
    Auch wenn Geschichte sich nicht wiederholt, kann man doch aus ihr lernen. Zum Beispiel über den Umgang mit Informationen, über deren falsche Interpretationen und nicht zuletzt über die Fehler, die daraus entstanden sind, und häufig Grundlage für politische Katastrophen waren. 20 Jahre haben wir nun versucht, die veränderte Welt, in der wir leben, zu verstehen und zu begreifen, welche Triebkräfte für die Veränderungen verantwortlich sind, die uns so zu schaffen machen. Wirklich erfolgreich waren wir nicht. Deshalb kann uns vielleicht eine Metapher weiterhelfen.
    Es bietet sich an, das »Trojanische Pferd« aus dem Epos von Homer zu bemühen. Es steht als Symbol für die in der Geschichte immer wieder beobachtbare und zuweilen kaum erklärbare »Torheit der Regierenden«. In dem gleichnamigen Buch der amerikanischen Historikerin Barbara Tuchman 20 dient es auch als Anfangssymbol für immer wiederkehrende Muster katastrophaler politischer Fehlentscheidungen.
Torheiten damals und heute
    Barbara Tuchman stellt in einer historischen Vergleichsperspektive sich wiederholende und höchst irritierende Fehler im Entscheidungsverhalten politischer Eliten fest. Also formuliert sie eine Frage, die sie aus der Geschichte entwickelt, die aber heute nichts an Aktualität und Brisanz eingebüßt hat. Diese Frage lautet: Warum tun Regierende immer wieder Dinge, die nicht nur ihren Interessen zuwiderlaufen, sondern am Ende dazu führen, dass sie insgesamt scheitern und zugrunde gehen?
    Die erste Torheit, die sie beschreibt, ist die der Trojaner, wider besseres Wissen besagtes Pferd in ihre Stadt zu ziehen. Aber solche Torheiten finden sich eben nicht nur in mythischer Vorzeit. Im Gegenteil: Die Geschichte ist voll davon: Warum beharrten mehrere britische Regierungen unter Georg III. nacheinander darauf, mit amerikanischen Kolonien keine Kompromisse und Kooperationen einzugehen, sondern konfrontatorisch zu verfahren, mit dem Ergebnis, diese Kolonien zu verlieren? Warum ließen sich Karl XII. von Schweden, Napoleon und Hitler auf eine Invasion Russlands ein,obwohl die Versuche der Vorgänger immer in einer Katastrophe geendet waren? Warum weigerte sich Chiang Kai-shek in China nach dem Zweiten Weltkrieg, den warnenden Stimmen der Reformer Gehör zu schenken und auf diese Weise das Festland zu verlieren? Und was hat die amerikanischen Regierungen in den 60er-Jahren bewogen, einen Krieg in Vietnam zu führen, der nicht zu gewinnen war und bis heute ein nationales Trauma darstellt? Die gleiche Frage kann man für die in der Geschichte wiederholt gescheiterten Versuche, Afghanistan zu besetzen, stellen. Der letzte, diesmal unter Führung der USA, ist immer noch im

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