Der erfolgreiche Abstieg Europas
Denkmuster »Der Westen gegen den Rest« gepflegt. Die zweite Reaktion steht ebenfalls in einer langen Tradition: Wir haben ohne Erfolg, aber mit großer Intensität nach neuen, dauerhaft tragfähigen Feindbildern gesucht. Wer Feindbilder hat, kann politische Kosten besser rechtfertigen und entsprechend Kräfte mobilisieren. Der Verlust der Sowjetunion als sicheres Feindbild wog schmerzlich. Bis heute ist die Suche nach adäquatem Ersatz nur begrenzt erfolgreich.
Öffentliche Debatten um die Veränderungen in der Weltpolitik haben wir seit 1989 (und natürlich auch schon davor) mit großer Intensität geführt, ohne dass ein wirklicher Fortschritt im Denken und Verstehen der grundlegenden Verschiebungen internationaler Politik angenommen werden könnte. Trotz des irgendwie vorhandenen Gefühls, dass sich da draußen etwas ganz fundamental Neues entwickelt, haben wir einfach munter in alten Mustern weiterdiskutiert, versucht, mit Begriffen und Schlagworten Bestseller zu produzieren, von denen fast jeder den Titel kennt und auch weltläufig im Munde führt. Die entsprechenden Titel sind eingegangen in den Grundwortschatz von Politikern, Wissenschaftlern und Kommentatoren.
So waren es wie so häufig hauptsächlich politische Bestseller von amerikanischen Autoren, die unsere Debatten maßgeblich bestimmt haben. Bei allen unterschiedlichen Themen und Positionen haben die meisten dieser Erklärungsversuche, mit denen sich internationale Debatten bevorzugt beschäftigt haben, eines gemeinsam: Sie zeigen uns die Welt in den dichotomen Denkmustern des Ost-West-Konflikts und nicht in den Kategorien, die heute unsere Welt bestimmen.
Schon ein oberflächlicher Blick auf die zentralen Debatten zeigt sehr schnell ein entsprechendes Bild. Am Anfang stand das Ende der Geschichte . Dieser besonders häufig zitierte Erklärungsversuch stammt von Francis Fukuyama. 23 Seine Argumentation lautet in groben Zügen wie folgt: Das Ende der Sowjetunion hat den Triumph der Demokratie unter Beweis gestellt und damit geht etwas zu Ende, wonach die Menschheit seit 2.000 Jahren gestrebt hat: der Siegeszug der Demokratie. Menschen, so argumentiert Fukuyama zunächst sehr individualistisch, streben nach Selbstwertgefühl und fühlen sich nur in Gesellschaften wohl, die die Erreichung dieses Gefühls garantieren. Demokratien vermögen dies zu leisten. Sie gewähren Wahlrecht und Gleichheit vor dem Gesetz. Francis Fukuyama nennt Demokratien entsprechend »die finale Form der Regierung des Menschen«. Er sieht den Ursprung einer Entwicklung in der Französischen und Amerikanischen Revolution, deren Kreis sich 1989 schließt. Nachdem die Demokratien Sozialismus, Kommunismus und Faschismus überwunden haben, treten sie nun in eine neue Phase ein. Es gibt natürlich noch andere Systeme – und daraus erwächst seine fundamentale Dichotomie: Demokratien auf der einen und Nichtdemokratien auf der anderen Seite. Und er formuliert Schlussfolgerungen: Wenn Demokratien am erfolgreichsten Frieden und Wohlstand garantieren, dann ist die naheliegende Überlegung doch – leicht abzulesen an der Außenpolitik der Bush-Administration –, dass die Welt möglichst demokratisch sein sollte. Die strategische Konsequenz lautet: Die Unterstützung von Demokratisierungsprozessen ist ureigenes Anliegen der USA und der westlichen Welt. Er schreibt insofern das Programmpapier für eine regelrechte Unterstützungsindustrie, die nach 1990 Hochkonjunktur hatte und mit dem Krieg gegen den Irak einen Höhepunkt erfahren hat: »Promoting and Protecting Democracies« – Unterstützung von Demokratien von außen! Der erste Erklärungsansatz ist ein typisch dichotomischer: Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Demokratien und Nichtdemokratien.
Der zweite Denkansatz hebt auf eine völlig andere Problemebene ab, folgt aber denselben Denkmustern: Samuel Huntingtons Kampf der Kulturen . 24 Huntington behauptet im Kern, dass nicht mehr die großen ideologischen Gegensätze die Weltpolitik bestimmen, sondern kulturelle Bruchlinien internationale Politik entscheidend prägen. Künftige Konfliktlinien, so seine Prognose, verlaufen entlang von Zivilisationen, die er höchst allgemein definiert als die höchste Ebene kulturellen Zusammenlebens zwischen Menschen und die breiteste Gemeinsamkeit kultureller Werte, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheiden. Wer Samuel Huntington heißt, kann sich solche allgemeinen Definitionen leisten. Insgesamt unterscheidet er acht große
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