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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Zivilisationskreise: westlich, konfuzianisch, japanisch, islamisch, hinduistisch, slawisch-orthodox, lateinamerikanisch, afrikanisch. Notwendige Differenzierungen unterbleiben, sie würden die Zielsetzung der Argumentation nur stören. Huntington selbst spricht von einem Samtvorhang (»velvet curtain«) im Gegensatz zu einem »eisernen« Vorhang. Huntingtons Dichotomie ist im Kern ganz einfach: Der Westen gegen den Rest der Welt (»The West against the Rest«)!
    Neben den beiden genannten gab es auch eine ganze Reihe offen konfrontativer Ansätze. Keiner der folgenden war im Kern wirklich neu, aber sie erstrahlten plötzlich in neuer Attraktivität.
    Robert Kaplan, der Autor der dritten Dichotomie, beschwört die »kommende Anarchie« wegen des ewigen und weiter wachsenden Gegensatzes zwischen Arm und Reich. Er argumentiert, dass der Globus sich künftig nach sozioökonomischen Verwerfungslinien teilen werde. 25 Seine Dichotomie ist die älteste und einfachste überhaupt. Bei den Armen konstatiert er eine Bevölkerungsexplosion zu ihren Lasten und bei den Reichen eine Technologieexplosion zu ihren Gunsten. Auch er kommt zu einer strategischen Konsequenz bezüglich der Hauptaufgaben in der internationalen Politik. Er entscheidet sich für Entwicklungshilfe, für technische Hilfe und Familienplanung: Bewältigt die Krise, bevor die Krise euch einholt!
    »Vernetzt oder nicht« heißt die Frage, auf der Tom Friedman seine Dichotomie aufbaut und in seinem Buch The Lexusand the Olive Tree , vor allem aber mit der These, die Welt sei »flach«, für eine dankbare weltweite Leserschaft aufbereitet. 26 Eine flache Welt? Natürlich nicht wirklich. Aber im übertragenen Sinn argumentiert Friedman, die Welt sei zu Beginn des 21. Jahrhunderts eingeebnet worden – nicht mehr durch Staaten, Konzerne oder Hardware, sondern durch eine immer ausgefeiltere und nutzerfreundlichere Software, die es jedem von uns erlaubt, buchstäblich innerhalb von Sekunden zum »global citizen« zu werden. Für ihn ist Globalisierung die markante Trennlinie in der internationalen Politik. Auf der einen Seite gibt es Staaten, die eingebunden sind in Globalisierung, und auf der anderen Seite stehen die, die draußen bleiben vor der Tür. Es geht in Zukunft nicht mehr um Panzer und Raketenwerfer, sondern um die Verteilung von PCs pro Haushalt. Es geht um Märkte und nicht mehr um Institutionen. Und es geht um die Frage, wer sich bei zunehmender Beschleunigung schneller und besser den notwendigen Anpassungsprozessen stellen kann. Auch Friedman hat eine Therapie für die Rettung der Welt. Er spricht von sozialen Sicherheitsnetzen, von kultureller Integrität und Umweltschutz, aber letztlich ist auch sein Denkansatz ein dichotomischer: die Vernetzten gegen die Abgekoppelten.
    In politischen und regionalen Gegensätzen denkt Charles Kupchan. Er wählt wieder eine andere Zweiteilung und schwimmt ein Stück weit erfolgreich gegen den Strom. 27 Zu einem Zeitpunkt, als alle Welt über das amerikanische Empire und den amerikanischen Unilateralismus diskutiert, postuliert er das Ende der amerikanischen Ära. Und Europa sollte ihm dankbar sein. Er ist der einzige amerikanische Sozialwissenschaftler, der in Buchlänge behauptet, dass die Europäische Union der künftige Herausforderer der USA sein wird. Im Spannungsfeld zwischen Unilateralismus und Isolationismus auf amerikanischer Seite vertritt er die These, dass die EU langfristig besser aufgestellt sei. Genau besehen propagiert er nichts anderes als die Dichotomie »USA gegen EU«. Manche würden immer noch sagen »Neue Welt gegen Alte Welt«. Das Schöne an solchen Diskussionen ist natürlich, dass man sie in der Regel ganz einfach umdrehen kann, ohne dass die Grundaussage sich verändert.
    Ganz ähnlich, aber eben mit völlig anderen Vorzeichen fasst Robert Kagan seine Dichotomie. 28 Sie ist wohl nicht zuletzt deshalb so oft zitiert und kritisiert worden, weil sie die Europäer besonders ärgert. Der Kriegsgott Mars (USA) und die Liebesgöttin Venus (Europa) bilden für ihn die Metaphern zur Beschreibung prinzipiell unterschiedlicher Zugänge zur Lösung der zentralen Probleme der internationalen Politik. Der Gegensatz lautet: hier die USA mit ihrem hobbesianischen Realismus, dort die Europäer mit ihrem kantianischen Idealismus. Pragmatische Problemlösungen wollen die einen, kooperative multilaterale Verfahren die anderen. Nicht nur der Autor, sondern auch seine Befürworter in Teilen der Bush-Administration

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