Der erfolgreiche Abstieg Europas
Scheitern begriffen. Man wird ihn auch nicht mehr zum Erfolg schönreden können. Auch die USA tun in ihrem selbst erklärten Krieg gegen den Terror das, was sie immer getan haben. Sie projizieren ihre Macht mithilfe ihrer Armee, ohne wirklich abschätzen zu können, wie lange ein solcher Einsatz dauern, mit welchen Kosten er verbunden sein wird – und erst recht, mit welchem Erfolg zu rechnen ist.
Wir haben es aber keineswegs nur mit einem historisch interessanten Phänomen zu tun. Die Torheit der Regierenden besteht auch heute darin, Vertrautes zu tun, also das zu tun, was gestern und vorgestern immer richtig war, und damit an einer ganz bestimmten Stelle ungewollt die Katastrophe auszulösen.
Die gegenwärtige Weltpolitik ist voll von ähnlich brisanten Beispielen: Michail Gorbatschow lieferte ein solches Beispiel. Er formuliert in seinem Buch Perestroika , von dem die meisten im Westen zwar ein Buchklub-Exemplar besitzen, aber nie mehr gelesen haben als den Titel, sein Konzept zur Stärkung des Sozialismus. Von dessen Abschaffung oder gar dem Zerfall der Sowjetunion war dort keine Rede. Selbst für oberflächliche Leser drückt er sich unmissverständlich aus: »Nicht außerhalb, sondern innerhalb des Sozialismus suchen wir nach Antworten auf die Fragen, die sich uns stellen. Wir beurteilen unsere Erfolge wie auch unsere Fehler nach sozialistischen Maßstäben. Diejenigen, die hoffen, dass wir von unserem sozialistischen Weg abweichen, werden bitter enttäuscht sein. … Wir werden uns weiter auf einen besseren Sozialismus zubewegen, und nicht von ihm weg. Wir sagendas in aller Aufrichtigkeit und nicht, um unser Volk oder die Welt zu täuschen. Jede Hoffnung, wir würden eine andere, nicht sozialistische Gesellschaft anstreben und ins andere Lager umschwenken, ist unrealistisch und zwecklos.« 21 Deutlicher kann man es kaum ausdrücken. Gemessen an seinen eigenen Zielen hat Gorbatschow das Notwendige erkannt, vielleicht sogar das Erforderliche (nämlich Reformen) in Angriff genommen – und doch ist er am Ende kläglich gescheitert. Als Held wird er nur im Westen gefeiert, und das mit gutem Grund. In seinem eigenen Land gilt er als Versager, der die einst ruhmreiche Sowjetunion in den Ruin hat treiben lassen.
Saddam Hussein ist ein weiteres Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. Er hat konsequent nach einer Strategie gehandelt, die für ihn immer erfolgreich war. Er hat sich über Jahre erfolgreich dem Druck der Vereinten Nationen entzogen und nicht damit gerechnet, dass der Sohn den Vater »rächt« und die USA es ernst meinen könnten mit seiner Verdrängung von der Macht. Am Ende wurde der einst stolze Diktator verdreckt aus einem Erdloch gezogen, zur Schau gestellt und hingerichtet.
Aber es geht noch weiter und betrifft auch Entwicklungen, die auf den ersten Blick gar nicht kritisch oder katastrophal erscheinen: Die EU hat im Jahre 2004 etwas getan, was sie schon öfter getan hat: Sie hat sich erweitert, ohne den Integrationsprozess nennenswert vorangebracht zu haben. Die Folgen der Überdehnung werden heute fast täglich in den Nachrichten schon als Selbstverständlichkeit diskutiert. Warum hält die amerikanische Wirtschaft an dem Postulat von Wachstum fest, wo Debatten über die Grenzen des Wachstums längst zur Tagesordnung gehören? Und warum kommt ein amerikanischer Präsident auf die Idee, mithilfe seiner Truppen, die sich zwischenzeitlich auch schon einmal als Folterknechte der Demokratie erwiesen, Demokratie in den Irak bringen zu wollen? Wichtige Lektionen der Vergangenheit sind hier in Vergessenheit geraten. Im Jahre 1956 hatte die damalige US-Regierung das genaue Gegenteil von George W. Bush jr. getan, nämlich die beiden damals noch als solche angesehenen Großmächte Frankreich und Großbritanniendavon abgehalten, mit der Besetzung von Ägypten im Rahmen der Suez-Krise in ähnlicher Weise zu scheitern, wie sie es heute in Afghanistan und dem Irak tut. Selbst in der Vergangenheit erfolgreiche Verhaltensmuster sind heute wieder in Vergessenheit geraten, auch wenn das Beispiel des Truthahns uns lehrt, dass sie nicht mehr automatisch funktionieren müssen. Regierungen sollten fähig sein zu entscheiden, welche Erfolgsmuster aus der Vergangenheit heute noch Gültigkeit haben können. Stattdessen verhalten sie sich in den meisten Fällen so, wie sie es gelernt haben, und verlassen sich unreflektiert auf die Richtigkeit ihres Handelns. Am Ende kommen gelegentlich Katastrophen heraus. Warum tun
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