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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Bedingungen« lautete die Titelschlagzeile der Financial Times Deutschland am 21. Dezember
2009. Ohne die Schwellenländer läuft schon heute nichts mehr. Und dieser Trend wird sich weiter verschärfen. Für Horrorszenarien taugt er trotzdem
nicht. Nach wie vor gilt, dass wir im Westen ökonomisch vom Aufstieg der anderen profitieren – auch wenn wir noch keine guten Antworten auf die Frage
haben, wie wir unseren Umgang mit diesem Aufstieg managen müssen.
     
    Alles in allem eine zutiefst besorgniserregende Bilanz für den Westen. Nun könnte man natürlich einwenden: Warum nicht einfach
abhaken, vergessen, Schwamm drüber? Dieses Jahrzehnt der Schrecken ist zu Ende. Das nächste wird schon wieder besser werden. Gegen einen solchen
Optimismus ist wenig einzuwenden. Leider sprechen nur wenige Anzeichen dafür, dass er ohne Weiteres eine echte Berechtigung hat. Die Geschwindigkeit,
mit der immer neue Ereignisse unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, verhindert, dass wir überhaupt noch die Chance bekommen, einmal über das
Wesentliche nachzudenken. Umbrüche, die sich früher über Generationen hinzogen, sind heute in wenigen Jahren technologisch, ökonomisch und sozial zu
bewältigen. Die großen Trends und die sie treibenden Ereignisse sind immer schwerer zu durchschauen und einzuordnen. Umkehren lassen sie sich schongar nicht. Es liegt also nahe zu fragen, wie wir diese Ereignisse in der jeweiligen Situation interpretiert haben? Was haben wir
wahrgenommen, kommentiert und geglaubt, gelernt zu haben? Die großen Debatten des vergangenen Jahrzehnts zeichnen ein höchst ernüchterndes oder, wenn
man so will, zutiefst irritierendes Bild von der Art, wie wir versuchen, uns in der Welt des frühen 21. Jahrhunderts zurechtzufinden.
Die Thesen im Überblick:
    Der »Westen« als politisch-strategische Einheit existiert nicht mehr. Er bleibt nur sprachlich als Sammelbegriff und gelegentlich als Bezugspunkt strategischer Debatten relevant.
    Die Träume von 1989 waren getragen von der Euphorie über den Sieg der USA und ihrer Verbündeten im Kalten Krieg. Den Realitätstest der letzten 20 Jahre haben diese Träume nicht bestanden.
    Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war für die USA und Europa ein Jahrzehnt des Schreckens im schlimmsten Sinne des Wortes. Gleich serienweise erschütterten Schockwellen das Selbstbewusstsein des Westens und stellten seine Reaktionsfähigkeit auf eine harte Probe.
    Zu den Schocks durch unerwartete Katastrophen kamen schleichende Trends, die sich in ihrer Wirkung zu einer unverkennbaren Verschiebung der globalen Machtbalance verbunden haben.
    Diese Machtverschiebung vollzieht sich schneller als gedacht und wird in ihren unmittelbaren Auswirkungen von den politischen Eliten des Westens deutlich unterschätzt.
     

3 MAUERN IM KOPF
Die ewige Torheit der Regierenden
    Fragen wir uns zunächst, was wir aus unseren bisherigen Überlegungen festhalten können. Wir haben zurückgeschaut auf die letzten 20 Jahre Weltpolitik und festgestellt, dass das vergangene Jahrzehnt eine deutliche Bilanz des Schreckens für den Westen aufweist. Und wir haben erkannt, dass unsere Fähigkeit, mit diesen Schocks umzugehen, ausgesprochen begrenzt ist. Also müssen wir uns die Frage stellen, woher Erklärung und – im Idealfall – Hilfe und Orientierung kommen können. An Warnungen hat es beileibe nicht gefehlt.
    Europäer lieben es, chinesische Sprichwörter zu zitieren, wenn sie zu solchen Fragen grundsätzliche philosophische Weisheiten zu Markte tragen wollen. Eine solche Weisheit ist in einem chinesischen Fluch versteckt: »Ich wünsche dir, dass du in interessanten Zeiten leben mögest!« In interessanten Zeiten zu leben bedeutet, dass dieser Fluch sich manifestiert. Wir leben seit der Zeitenwende von 1989 und erst recht seit Beginn des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrtausend ohne Zweifel in solchen interessanten Zeiten. Der Fluch scheint uns einzuholen. Vertraute Bezugspunkte, lieb gewordene Feindbilder, das alles ist uns verloren gegangen. Panta rhei – alles fließt. Gewiss ist nur das Ungewisse. Und das bereitet uns Sorgen, weil wir doch im Grunde unserer Herzen nach nichtsmehr streben als nach Gewissheiten, verlässlichen Strukturen und vertrauten Prozessen. Politik funktioniert am besten mit dem sicheren Gefühl, alles, was uns bedrückt, unter Kontrolle zu haben. Von lieb gewordenen Gewohnheiten und Denkmustern, insbesondere wenn sie schon einmal in der Vergangenheit erfolgreich waren, nehmen wir

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