Der erfolgreiche Abstieg Europas
die Return-Taste ersetzt den Gang zum Briefkasten. Tempo allein zählt. Aber Kommunikation wird nicht dadurch besser, dass sie schneller wird.
Die Torheit der Regierenden besteht schließlich aber auch in dem Glauben an Masterpläne, an Beschlusslagen und Strategiepapiere, die geschrieben werden, um künftig vermeintlich richtiges Handeln vorzugeben. Beispiele für solche Ideen gibt es zur Genüge: Der Traum vom Sozialismus, eine funktionierende, friedliche und gerechte Weltordnung durch Völkerbund oder Vereinte Nationen, ja sogar die Hoffnungen auf weltweite Demokratisierung nach 1989 gehören in diese Kategorie. Es macht wenig Sinn, mit festgelegten Mustern über die Weltordnung von morgen nachzudenken. Zu viele »schwarze Schwäne« verhindern mit fast verlässlicher Sicherheit, dass die Dinge am Ende so kommen, wie sie am Anfang gedacht wurden. Wer in unserer schnelllebigen Zeit mit solchen Masterplänen aufwartet, muss entweder lernen, diese rechtzeitig über Bord zu werfen, oder er wird mit ihnen scheitern. Am Ende verhindert das Festhalten an den Ideen der Vergangenheit zudem, dass flexible neue Antworten gefunden werden können, die im negativen Fall Katastrophen verhindern und im positiven Fall Zukunft gestalten helfen.
Blicken wir noch einmal kurz zurück: Es begann alles mit der festen Überzeugung in vielen Köpfen nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des kommunistischen Lagers: Wir haben den Kalten Krieg gewonnen und jetzt ist der Friede sicherer! Jetzt werden wir weniger Kriege haben! Von Friedensdividenden haben wir geredet und gehofft, wir könnten unsere Staatshaushalte durch deutliche Senkung der Rüstungs- und Verteidigungsausgaben entlasten. Heute wissen wir: Das war nur einer von vielen Irrtümern. Und die meisten dieser Irrtümer haben ihren Ursprung in dem »Wunderjahr« 1989.
Sicherlich erinnern sich die meisten von uns an die unbändige Freude, mit der wir den Fall der Berliner Mauer begrüßt haben. Das Einreißen von Mauern und Zäunen wurde alsbald zum Symbol für den Aufbruch ins 21. Jahrhundert. Ein neues Zeitalter brach an und kaum jemand wagte zu bezweifeln, dass es Besseres bringen würde.
Rund 20 Jahre später scheint ein ganz anderes Prinzip vorzuherrschen: Heute bauen wir längst wieder neue Mauern. Beispiele gibt es zur Genüge: An der Südgrenze der USA, um der wachsenden illegalen Einwandererströme Herr zu werden, in Palästina, um vermeintlich die Sicherheit Israels zu erhöhen, in Stadtvierteln in Bagdad, um nächtliche Terrorangriffe besser abwehren zu können. Und schließlich müssen wir uns die einfache Frage stellen, ob wir nicht längst auch Mauern in unseren Köpfen bauen. Diese Mauern verhindern, dass wir die Welt, die auf der anderen Seite liegt, so sehen können, wie sie in Wirklichkeit ist.
In vielen Debatten wird deutlich, dass wir mittlerweile allmählich zu begreifen scheinen, dass trotz der hohen Erwartungen von damals ein Jahrzehnt des Schreckens hinter uns liegt. Kaum ein Ereignis, kaum ein Thema, das nicht in Aufsätzen, Büchern, Talkshows und Meinungsartikeln in epischer Länge und natürlich ohne erkennbaren Konsens entfaltet worden wäre. Die Schocks der vergangenen zehn Jahre haben uns zwar intensiv beschäftigt, aber es kann mit Fug und Recht bezweifelt werden, dass wir einem Verständnis näher gekommen sind, das die Realitäten globaler Machtverschiebungen so angemessen wiedergibt, dass politisch erfolgreiche Reaktionen oder wirksame Gegenstrategien erwartbar wären.
Gerade deshalb müssen wir uns doch in schöner Regelmäßigkeit eine einfache Frage stellen: Was sind die Triebkräfte hinter diesen Debatten? Stimmen die Grundannahmen noch? Und was haben wir vielleicht übersehen?
Die Welt in Schwarz und Weiß
Lassen wir einen Augenblick alle unnötigen Details beiseite und konzentrieren uns auf die einfache Frage, wie die wesentlichen Debattenmuster der letzten 20 Jahre verlaufen sind. Bei der Suche nach solchen Mustern zeigt sich im Rückblick sehr schnell, dass sich zwei zentrale Reaktionsschübe erkennen lassen: Die erste Reaktion folgte den gewohnten Denk- und Reaktionsmustern, wie sie sich im Kalten Krieg bewährt hatten. Wir sind auf intellektuell ausgetretenen, aber eben vertrauten Pfaden gewandelt. Auf der Seite der Guten steht der Westen, auf der Seite der Bösen stehen all diejenigen, die unsere Werte und Interessen nicht teilen. Wir haben in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß gedacht und folglich immer wieder das
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