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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Abschied vom traditionellen tibetischen Leben in Kauf nehmen. Das war immer so in Modernisierungsprozessen. Verlogen ist eine Tibet-Politik, die hinter dem Lobpreis auf traditionelle Kultur den tibetischen Kulturzoo für westliche Besinnungsreisende offen halten will, die hier das suchen und finden können, was Shangri-La denen verspricht, die Überdruss an der Bequemlichkeit westlicher Moderne empfinden. Und natürlich hat die tibetische Politik mit dem Dalai-Lama einen Superstar, der es meisterhaft versteht, die Regeln westlicher Medien für seine Anliegen zu nutzen, selbst wenn er mittlerweile auf die Position des politischen Oberhaupts der Tibeter verzichtet hat. Gewaltlosigkeit verkauft sich gut in der Nachfolge von Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela, auch wenn sie keine Tradition in der tibetischen Politik hat.
    Dies alles kann und soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die chinesische Tibet-Politik, insbesondere der Umgang mit Menschenrechten und tibetischen Kulturgütern, hoch problematisch und kritikwürdig ist. Aber der Weg zu einer Veränderung dieser Situation führt nicht über plakative Anklagen, sondern nur über einen Dialog mit Peking. Das mag sehr bescheiden klingen, zumal Erfolge nicht schnell zu erwarten sind. Dessen ungeachtet lautet die zentrale Frage für westliche Wertepolitik: Was wollen wir für die Menschen in Tibet? Eine herrschende Priesterkaste, die ihre Machtkonflikte auf dem Rücken der Ärmsten austrägt? Demokratie, weil wir sie gut finden, obwohl die meisten tibetischen Bauern noch nicht einmal gehört haben, dass es so etwas gibt?
    Dass Organisationen wie Amnesty International Menschenrechtsverletzungen in China öffentlich anprangern, ist notwendig, legitim und sinnvoll. Amnesty muss das tun. Das ist der selbst gewählte Auftrag der Organisation und betrifft China genauso wie die USA oder jeden anderen Staat, in dem Menschenrechte verletzt werden. Zufriedenheit mit dem Stand des Erreichten kann und darf es nicht geben, solange irgendwo auf der Welt auch nur ein Mensch unter der Einschränkung seiner Menschenrechte leiden muss.
    Ein brauchbarer Ersatz für erfolgsorientierte Außenpolitik ist das aber nicht. Man mag es nicht mögen, aber die Zeiten sind schlicht vorbei, wo man mit erhobenem Zeigefinger nach China pilgern und belehrend, zuweilen auch besserwisserisch fordern konnte, was China gefälligst zu tun habe. Das schnell wachsende Bruttosozialprodukt des Landes beeindruckt uns, aber wir haben unsere liebe Mühe, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass das chinesische Selbstbewusstsein im Umgang mit solchen Fragen mindestens genauso schnell wächst. Und China ist nur ein Beispiel.
    Was bedeutet dies aber nun für unsere Wertepolitik? Eigentlich ist das ganz einfach. Auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen und Erklärungen, insbesondere der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, gehört Menschenrechtspolitik automatisch zum Kernbestand einer wertegeleiteten Außenpolitik. Staaten, die Menschenrechte nach diesen Standards verletzen, müssen damit rechnen, dass sie je nach Art und Ausmaß dieser Verletzungen ständig mit Mahnungen bis hin zu Sanktionen konfrontiert werden, um sie dazu zu bringen, für eine entsprechende Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen. Keine demokratisch gewählte Regierung des Westens kann es sich eigentlich leisten, auf diese Form außenpolitischer Einflussnahme zu verzichten, wenn sie der verbreiteten Erwartungshaltung ihrer eigenen Zivilgesellschaft und der beständigen Anmahnung durch ihre Medien entsprechen will.
    Bedauerlicherweise leidet diese Politik unter zwei wesentlichen Einschränkungen, die ihre Wirksamkeit insgesamt erheblich infrage stellen.
    Westliche Demokratien können sich nur schwer des Vorwurfs erwehren, doppelte Standards gerade in Wertefragen zur Grundlage ihrer Politik zu machen. Staaten, die strategisch wichtig sind, über Rohstoffe verfügen oder als Wirtschafts- und Sicherheitspartner benötigt werden, können sich in der Regel darauf verlassen, dass trotz aller Ermahnungen letztendlich keine unmittelbaren Konsequenzen erfolgen. Ihre strategische Bedeutung schützt sie erfolgreich vor praktischen Konsequenzen. Mit Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien oder Indien geht der Westen anders um als mit vergleichbaren Fällen in China und Russland.
    Der zweite Gesichtspunkt wiegt vielleicht noch schwerer. Die Politik der Vereinigten Staaten und

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