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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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das sagt, weiß, wovon er spricht. Günter Verheugen war lange genug EU-Kommissar, um die Debatten in Brüssel, aber auch in anderen europäischen Hauptstädten entsprechend einschätzen zu können.
    Mangelnde intellektuelle Vorbereitung auf kommende Veränderungen wird dem Westen also ganz pauschal unterstellt und damit auf eine der besten Voraussetzungen für unseren sprichwörtlichen Truthahn-Effekt verwiesen. Aber trotz aller Bedenken, bei denen politische Kommentatoren gerne die Stirn in Sorgenfalten legen, wird immer wieder auch darauf verwiesen, dass es gerade in China, dem wohl wichtigsten Herausforderer des Westens, noch längst nicht gelungen ist, die Tragfähigkeit des eigenen Modells, geschweige denn seine Attraktivität für Dritte unter Beweis zu stellen. Über diese Frage kann man lange spekulieren. Wer ein Pol in der neuen Weltordnung werden will, muss diese Fähigkeit nachweisen. Die chinesische Führung bestreitet solche Ambitionen vehement. Wer aber zwischen den Zeilen liest, kann durchaus zu einer gegenteiligen Auffassung kommen. China strebt nach Weltmachtstatus, auch wenn es noch einen weiten Weg zu gehen hat. So verweist die Journalistin Christine Adelhardt darauf, dass China es bislang nur scheinbar geschafft hat. Das ist aus ihrer Sicht trotz des wachsenden Drucks, Kompromisse schließen zu müssen, kein Grund, gleich den Beginn eines chinesischen Zeitalters anzunehmen: »China ist groß geworden durch kapitalistische Wirtschaft mit diktatorischer Lenkung. Das bringt konkurrenzlos billige Waren vom Fließband, aber in die Weltspitze der Innovationsprodukte kommt man damit nicht. Dort halten sich trotz wirtschaftlicher Krise immer noch die Amerikaner auf. Aus dem Westen kommen die coolsten Apps, die besten Autos. Denn der Erfolg der westlichen Welt basiert auf unserem politischen System, Demokratie, Freiheit, Konfliktfähigkeit. So entsteht Kreativität und daraus die besten Ideen. Und Ideen sind es, die heute Milliarden wert sind: Google, Facebook, iPhone. Freiheit – das ist unsere Stärke. Und genau davor haben Chinas Machthaber Angst. Nichts fürchten sie mehr als offene Kritik, die Gewährung von Freiheit, die Achtung von Menschenrechten. Die sozialen Konflikte im Reich der Mitte aber nehmen zu, Bürger begehren gegen korrupte Beamte auf, im Internet regt sich Widerstand und der Machtapparat ist längst kein monolithischer Block, wie uns die Politkader glauben machen.« 70
    Das ist eine der wohl spannendsten Fragen unserer Zeit: Wird das westliche, auf individueller Freiheit beruhende und durch die Kombination von Demokratie und Marktwirtschaft gekennzeichnete System sich am Ende doch noch global durchsetzen? Nach 1989 sah es schon einmal so aus, doch durch den Aufstieg der Schwellenländer kam es unter Druck und in der Weltwirtschaftskrise scheint es versagt zu haben. Oder werden Autokratien, die sich konsequent auf die Unterdrückung individueller Freiheit stützen, um ihr Wirtschaftswachstum voranzutreiben, und auf diese Art »Legitimität durch Leistung« produzieren, nicht nur als Erfolgsbeispiele für nachholende Entwicklung, sondern auch als Erfolgsmodelle gegen den Westen durchsetzen können? Könnte es sein, dass sie am Ende doch an ihren inneren Verwerfungen scheitern?
Zwischen Hoffen und Bangen
    Freilich muss man in diesem Zusammenhang bedenken, dass alle bisherigen Prognosen über die Zukunft der Demokratie falsch waren – die optimistischen ebenso wie die pessimistischen. Kaum ein Thema hat ähnlich viele Kontroversen ausgelöst. Das Potpourri der Meinungen und Positionen ist durchaus beeindruckend. In den vergangenen Jahren nahmen die eher pessimistischen Fragen wieder zu. Kein Geringerer als Sir Ralf Dahrendorf stellte die fast bange Frage, ob die Demokratie die Globalisierung und damit einhergehende Herausforderungen überleben könne. 71 Er formulierte damit eine Sorge, die für ihn im Wesentlichen mit Phänomenen eines »wachsenden Autoritarismus« zu tun hat.
    Über diese Fragen lässt sich heute nur spekulieren. Und immer muss man dabei die Warnung vor Augen haben, dass winzige Ereignisse in den betroffenen Ländern schnell und unkalkulierbar gewaltige Konsequenzen nach sich ziehen können. Das Risiko, in eine »Truthahn-Falle« zu tappen, ist allgegenwärtig. Und auch die einschlägigen sozialwissenschaftlichen Disziplinen tun sich ausgesprochen schwer, mit diesen Fragen umzugehen.
    Vor 20 Jahren begann die Politikwissenschaft als Folge der Veränderungen in Mittel-

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