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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Nichtdemokratien sah er endgültig zugunsten von Demokratien entschieden – und insoweit das Ende der Geschichte erreicht.
    Berge von Studien wurden veröffentlicht, die diese Demokratisierungsbewegungen nachzeichneten. Was sich einige Jahre später als Transformationsforschung bezeichnen sollte, begann zunächst mit Untersuchungen über den Zusammenbruch autokratischer Regime. Seltsamerweise folgten diese Zusammenbrüche einer kaum erklärbaren zeitlichen und geografischen Clusterbildung. Fast konnte man als Beobachter den Eindruck gewinnen, dass Demokratie sich wie ein Virus verbreite und die nächstgelegenen Autokratien sich am schnellsten ansteckten. Es begann in Südeuropa mit der »Revolution der Nelken« in Portugal 1974 und infizierte Spanien und Griechenland – damals die letzten Diktaturen im westlichen Teil Europas. Der Virus sprang dann nach Lateinamerika, von dort nach Ostasien und zurück nach Mittel- und Osteuropa, wo er 1989 seine volle Wirkung entfalten konnte. Innerhalb von rund eineinhalb Jahrzehnten schien der Siegeszug der Demokratie vorprogrammiert.
    Die Politikwissenschaft kam kaum hinter den sich überstürzenden Ereignissen her. Ihren im Wesentlichen reagierenden Charakter konnte sie aber mit Bravour ausspielen. Kaum waren die Zusammenbrüche von Autokratien in Ansätzen beschrieben, schlug die Stunde der Transitionsforschung im engeren Sinne. Hier ging es vor allem um eine zentrale Frage: Wie errichtet man nach dem Zerfall eines autokratischen Regimes eine demokratische Herrschaftsform? Kaum waren Verfassungen diskutiert und »Gründungswahlen« analysiert, stellte sich ein neues Problembündel. Logisch konsequent lautete die für die dritte Phase der Transformationsforschung prägende Frage: Wie konsolidiert man demokratische Herrschaft? Welche Rolle spielen Parteien und die viel beschworene Zivilgesellschaft bei der Stabilisierung neuer Demokratien? Und was kann man von außen tun, um zu helfen? Eine regelrechte Unterstützungsindustrie für junge Demokratien (PPD – Promoting and Protecting Democracies) verschlang Unsummen an Fördergeldern – bis heute mit durchaus zweifelhaften Ergebnissen.
    Sehr schnell stellten Transformationsforscher fest, dass nicht alles Gold war, was glänzte. Viele Demokratisierungsbewegungen führten eben nicht zu gefestigten Demokratien westlicher Prägung, sondern zu dem, was man schon bald »defekte Demokratien« nannte. Und vielfach zeigen sich auch Rückentwicklungen. Was wir ursprünglich für Erfolgsfälle gehalten haben, ist längst nicht in jedem Falle zum Erfolg geworden. Hier wird natürlich besonders gerne auf die innenpolitische Entwicklung Russlands als besonders markantem Beispiel einer »delegativen Demokratie« verwiesen. 74
    Aber damit nicht genug. Nicht nur blieb die dritte Welle der Demokratisierung stecken, es waren gerade autokratische Herrschaftsformen, die sich in den letzten 20 Jahren anschickten, ganz neue Herausforderungen für die etablierten Demokratien zu präsentieren. Allen voran vollzog China eine bemerkenswerte ökonomische Entwicklung, ohne sein politisches System von Grund auf zu verändern. In einem der ökonomisch erfolgreichsten Länder der vergangenen Jahrzehnte herrscht nach wie vor mit Monopolanspruch wie in alten Zeiten eine kommunistische Partei. Menschenrechte werden verletzt, politische Opposition wird nicht geduldet und jede Form politischer Betätigung außerhalb der kommunistischen Partei unter zum Teil erhebliche Strafe gestellt.
    Muss man also Jean-François Revels These von 1984 wieder aufgreifen und neu formulieren? Etwa so: Auf Dauer werden Demokratien den Wettbewerb mit autokratischen Herrschaftsformen verlieren, weil Letztere besser politisch steuern, schneller auf Probleme reagieren und diese effizienter lösen können.
    Für manch einen politischen Führer in der nicht westlichen Welt, der zwar ökonomischen Erfolg und die Schaffung von Wohlstand nach westlichem Vorbild als Ziel akzeptiert, nicht aber eine Verwestlichung im Sinne der Einführung demokratischer Herrschaftsformen, scheint die Stunde gekommen, den Westen auf der ideologischen Ebene und in Wertedebatten anzugreifen. Die Frage nach westlichen Werten und ihrer Universalität wird dabei ins genaue Gegenteil verkehrt und stattdessen die Eigenständigkeit der jeweiligen Werteordnungen proklamiert. Natürlich wird dadurch auch politischen Ordnungen das Wort geredet, die mit westlicher Demokratie nicht das Geringste zu tun haben. Aus offener

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