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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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bei dem Prozess, den wir hier als erfolgreichen Abstieg beschreiben?
Erfolgreicher Abstieg?
    Der Ausgangspunkt unserer nachfolgenden Überlegungen ist einfach: Die Gipfelträume sind ausgeträumt. Wir reden bei diesen Fragen nicht mehr über drohende Zukunftsszenarien, sondern über die Realität internationaler Politik in der Gegenwart. Deshalb muss man selbstkritisch feststellen, dass nicht nur Europa, sondern der gesamte Westen seit 20 Jahren im eigenen Saft schmort. Wie die anderen – die Aufsteiger – denken, hat uns nicht wirklich interessiert, weil wir zu glauben scheinen, nach 300 Jahren erfolgreicher eigener Entwicklung die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Diese Überheblichkeit steht uns schlecht zu Gesicht, weil sie in wachsendem Maße ihre sachliche Berechtigung verloren hat. Hochmut kommt vor dem Fall, warnt ein beliebtes deutsches Sprichwort. Aber während wir noch die Träume von 1989 träumen und uns standhaft weigern, die Augen aufzumachen und die Welt so zu sehen, wie sie mittlerweile geworden ist, denken politische und wirtschaftliche Eliten außerhalb des Westens, wie wir gesehen haben, bereits in ganz anderen Dimensionen.
    Hinter uns liegt ein Jahrzehnt des Schreckens. Aber vor uns liegen noch neun Jahrzehnte im 21. Jahrhundert. Was werden sie bringen? Ähnliche Verwerfungen und dramatische Verschiebungen wie die Jahre zwischen 2000 und 2011? Das vergangene Jahrzehnt zeigt mit eindringlicher Deutlichkeit, dass alle wesentlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zwar lokalen Ursprungs sind, aber zum Teil erhebliche globale Auswirkungen haben. Einer Globalisierung von Problemen kann nur mit einer Globalisierung von Gegenmaßnahmen begegnet werden. Das klingt einleuchtend und vernünftig, ist aber einfacher gesagt als getan.
    Zunächst bedeutet das, dass wir mit Paradoxa werden leben und buchstäblich alles, was zu den vermeintlichen Gewissheiten einer vom Westen geprägten internationalen Ordnung gehört, über Bord werfen müssen. Jeder Versuch, auf diese Herausforderung mit pauschalen Lösungen zu reagieren, unterliegt einem dreifachen Risiko: Er führt ins Leere, wenn Konzeptionen ohne Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft bleiben; er führt in die Katastrophe, wenn solche Konzeptionen zur Ideologie verkommen; und er führt in die Sackgasse, wenn Werte und Ziele an Glaubwürdigkeitslücken und doppelten Standards scheitern.
    Es muss also neu gedacht werden, was nichts anderes heißt, als Wege und Ergebnisse eines erfolgreichen Abstiegs im Kopf vorwegzunehmen. Aber schon das Nachdenken über die laufende Kontinentalverschiebung in der internationalen Politik stellt uns vor beachtliche Aufgaben. Nicht ganz zu Unrecht erscheint die Beschäftigung mit solchen Fragen manch einem als Buch mit sieben Siegeln. Fachbegriffe zuhauf, eine Unzahl schwer aufzulösender Abkürzungen und sich oftmalswidersprechende Positionen machen es schwer, zu verstehen, wie die Triebkräfte der Politik auf globaler Ebene funktionieren. Wenn man noch die Varianten von theoretischen Erklärungsversuchen und die Glaubenskriege zwischen Theorieschulen hinzunimmt, wird das Feld endgültig unübersichtlich. Es ist kein Wunder, dass für jemanden, der sich für solche Fragen interessiert, die Beschäftigung mit internationaler Politik professionellem Apologetentum, gelegentlich auch einer Dauerparty im Elfenbeinturm gleichkommt.
    Das ist aber nicht wirklich so. Wenn man für einen Augenblick auf wissenschaftliche Erklärungsansprüche verzichtet, lassen sich die Grundmuster internationaler Politik durchaus mit einem Kindergarten vergleichen. Es gelten die Regeln des Zusammenspielens, aber auch des Streitens frei nach dem Motto: Machst du mein Sandförmchen kaputt, mache ich dein Sandförmchen kaputt. Und wie in einem Kindergarten geht es auch in der internationalen Politik letztendlich darum, in solchen Situationen soziales Lernen zu üben, um Probleme nicht mit Gewalt, sondern durch Kooperation lösen zu können. Das geschieht manchmal durch Rituale, die insbesondere auf der Ebene des diplomatischen Austausches gepflegt werden, es geschieht aber auch durch Drohungen und offenen Streit bis hin zur Anwendung brachialer Gewalt. Was beim Nachdenken über Europas erfolgreichen Abstieg zusätzlich gefordert ist, ist die Bereitschaft, nachzugeben, Platz zu machen und andere so mitspielen zu lassen, dass die üblichen Streitereien vermieden werden können.
    Bei solchen Überlegungen ist die Versuchung groß,

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