Der erfolgreiche Abstieg Europas
erwartenden, wohl unvermeidlichen, aber eigentlich gar nicht so schrecklichen Abstieg erfolgreich zu bewältigen.
Die Thesen im Überblick:
Europa leidet an einem ungebrochenen Weltschmerz. Manch eine Debatte, die in Europa und um Europa geführt wird, ist so weder nötig noch hilfreich für die Entwicklung einer zukunftsorientierten Handlungsfähigkeit.
Die Perspektive ist entscheidend: Wer nur die unverkennbar bestehenden Unzulänglichkeiten in den Blick nimmt, erhält ein anderes Bild
als jemand, der aus der Perspektive der Errungenschaft der europäischen Einigung argumentiert.
Europas historische Leistung darf gerade in Anbetracht aktueller Probleme nicht kleingeredet werden. Sie ist die Grundlage für einen sicher schwierigen, aber andauernden Prozess der institutionellen Fortentwicklung und flexiblen Problemlösungskapazitäten.
Europa war immer ein politisches Projekt. Um die Zustimmung der Bevölkerung haben sich die Verfechter einer europäischen Einigung über viele Jahre nicht gekümmert – und sich dann gewundert, dass nicht alle Schritte der Einigung von den Bürgern in einigen europäischen Staaten so gewollt waren. Wer Europa als Sündenbock für innenpolitische Probleme benutzt, darf sich nicht wundern, wenn sich an diesem Sachverhalt wenig ändern lässt.
Die Repräsentationsmechanismen der EU mögen Schwächen haben, aber wichtiger als die Steigerung von Legitimität durch Partizipation ist die Verbesserung der Legitimität durch Effizienz. Europas Leistungen bestimmen über die Zustimmung seiner Bürger und nicht die Mechanismen der Bürgerbeteiligung.
Europa hat nicht nur eine einzigartige Leistungsbilanz in den letzten 60 Jahren vorzuweisen, es hat dem Rest der Welt auch viel zu bieten für die Zukunft. Europas Stärke ist seine Diversität und nicht seine Vereinheitlichung.
Zu den großen Herausforderungen gehört der konstruktive Umgang mit dem wachsenden Selbstbewusstsein erfolgreicher Schwellenländer – einschließlich der Bereitschaft, auf Belehrung zu verzichten und auch von fremden Erfahrungen zu lernen.
8 WAS TUN?
Wege zum erfolgreichen Abstieg Europas
Wer den tagtäglichen Debatten in und um Europa mit Aufmerksamkeit folgt, läuft schnell Gefahr, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. Anstatt aus einer Perspektive des Erreichten auf die Probleme von heute und morgen zu schauen, führt das kleinteilige Debattieren all dessen, was nicht oder noch nicht richtig funktioniert, zur Überbetonung der Defizite europäischer Zusammenarbeit. Aber auch aus einer globaleren Perspektive gibt es scheinbar deprimierende Prognosen: Die Machtverschiebung von West nach Ost, schreibt Richard Youngs, sei zur Genüge prognostiziert worden. »Experten verweisen regelmäßig darauf, dass sich mehrere Jahrhunderte westlicher Dominanz ihrem Ende zuneigen. Nicht länger werden europäische Nationen in der Lage sein, eine so machtvolle Rolle bei der Bestimmung des Wesens internationaler Politik zu spielen. Nicht länger werden sie den überragenden Einfluss auf politische Werte, die die Welt bestimmen, die Prinzipien, die globale Politik regeln, die Gestaltung des internationalen Handelssystems oder die Ergebnisse sicherheitspolitischer Verhandlungen und Herausforderungen von Umwelt und Energie haben. Die Flamme europäischer Macht flackert schwächer. Europas Schatten in der internationalen Politik werden kürzer.« 88
Geradezu folgerichtig wird also der Abstieg Europas beschworen. Auf diese Weise sind Abgesänge auf Europa und den Westen regelrecht in Mode gekommen. Wohl darf man dabei nicht vergessen, dass manche, die sich an aufgeregten Debatten um die scheinbar unendliche Krise Europas mit immer wieder neu aufgelegten Beiträgen beteiligen, ein geborenes Interesse daran haben, dass Europa in der Krise ist. Wer in Thinktanks arbeitet, profitiert von Krisen. In »normalen« Zeiten interessiert sich kaum jemand für unsere Arbeit. Erst in Krisen sind Interpretationen und Denkangebote gefragt. So entsteht der Anlass für neue Strategiepapiere und ihre Finanzierung, für Schlagzeilen und Kommentare, für Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen. Das muss man bei diesen Debatten selbstkritisch beachten: Europas beständige Krise nährt vor allem diejenigen, die sie herbeireden.
Ich behaupte allerdings das genaue Gegenteil: All die Befürchtungen, vor denen wir uns gerade in Zeiten der Euro-Krise kaum noch retten können, sind wieder einmal verfrüht – und sie werden sich als falsch
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