Der erfolgreiche Abstieg Europas
der EU formuliert sie in offenen und deutlichen Worten: »Manchmal handeln die Europäer sehr widersprüchlich und verwirrend. Einerseits begrüßen die europäischen Regierungen, dass China Euro-Staatsanleihen kauft und in Europa investiert. Andererseits haben sie die Sorge, dass China Europa unterwandern will, was immer das bedeuten soll.« Und natürlich fragt man sich in China auch, wo die Gründe für Europas Widersprüchlichkeiten liegen. Fu Ying hat eine einfache Antwort: »Die Europäer sind von ihrem System sehr überzeugt. Deshalb fällt es ihnen sehr schwer, zu tolerieren, dass wir unser politisches System für das derzeit richtige für unseren Entwicklungsstand halten.« Automatisch Demokratievorstellungen des Westens zu übernehmen, kommt für sie nicht infrage. Folglich erinnert sie uns daran, was wir Europäer auschinesischer Sicht nicht vergessen sollten: »Nicht alle Probleme anderer Länder können auf europäische Weise gelöst werden. Jedes Land hat seine Eigenheiten, die es bei der Lösung berücksichtigen muss.« Logisch konsequent zieht sie die Schlussfolgerung, dass es an der Zeit sei für Europa, auch einmal von anderen – und warum nicht von China – zu lernen: »Wir haben versucht, aus den Fehlern, aber auch aus den Erfolgen anderer Länder zu lernen. Auch von Europa haben wir viel gelernt. Europa hat nun große Umbrüche vor sich. Die Finanzkrise brachte die großen Probleme der westlichen politischen Systeme ans Licht. Möglicherweise kann Europa nun auch etwas von anderen Ländern lernen. Wir wissen, dass dies für Europäer aus kulturellen Gründen schwierig ist.«
Das sind keine leicht zu akzeptierenden Vorstellungen. Sie verdeutlichen aber, dass Eigen- und Fremdbild Europas durchaus nicht übereinstimmen. Dass Europa in Gestalt der EU einen angestammten Pol im heraufdämmernden Zeitalter echter globaler Multipolarität bilden werde, wird in Europa trotz der internen Kritikdebatten niemand ernsthaft bezweifeln. Politische Eliten außerhalb Europas sehen das durchaus anders. Aber auch hier sind die Meinungen geteilt. An Museen denke er, wenn er an Europa denke, attestierte Scheich Mohammed bin Raschid al Maktoum, der Regierungschef von Dubai, in Berlin einem staunenden deutschen Publikum. Kein wirkliches Kompliment. Aber es gibt natürlich auch die anderen Stimmen. Führende amerikanische Experten wie Andrew Moravcsik, Charles Kupchan und Parag Khanna sehen im Erfolgsmodell der EU immer noch ein zukunftsfähiges Modell und erachten es dauerhaft sogar als leistungsfähiger als ihr eigenes System.
Den Gordischen Knoten selbstkritischer Europadebatten zu durchschlagen, wird keine Aufgabe, die sich mit Leichtigkeit erledigen lässt. Zeiten schneller Veränderungen und institutioneller Umbrüche bringen immer erhebliche Verunsicherungen mit sich. Sie zu vernachlässigen oder unbeachtet beiseitezuwischen, kann ebenso gefährlich sein, wie es häufig irreführend ist, sie überzubetonen und zur Grundlage regelrechter Angstdebatten zu machen. Aber vielleicht wäreschon viel geholfen, wenn wir uns darauf verständigen könnten, einige der europäischen Endlosdebatten einfach nicht mehr zu führen.
Europa wird von seinen eigenen Menschen, aber auch von seiner globalen Umwelt nicht daran gemessen, was es sein will
oder zu sein behauptet, sondern ausschließlich daran, was es zu leisten imstande ist. Es ist also höchste Zeit, radikal umzudenken. Die Welt wartet
nicht darauf, dass Europa endlich seine Hausaufgaben macht. Wer im schneller werdenden Spiel globaler Machtverschiebungen am Ball bleiben will, muss
auch bereit sein, unliebsame Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen. Dazu gehört vor allem, weniger auf Visionen (und die damit vorprogrammierten
Enttäuschungen), sondern mehr auf Transparenz und Flexibilität zu setzen. Das bedeutet aber auch, auf die Versuchung zu verzichten, alles schönzureden,
was längst an Glanz verloren hat. Europa bleibt janusköpfig. Der Blick zurück zeigt, dass Europa in seiner heutigen Gestalt eine der größten
Erfolgsgeschichten der Menschheit ist. Das darf man sich nicht kleinreden lassen. Aber der Blick nach vorne erfordert die Einsicht, dass jetzt der
Abstieg mit all seinen Risiken und Problemen beginnt. Das ist nichts Schreckliches oder Verwerfliches, sondern der notwendige Weg zum sicheren
Erfolg. Diesen Weg auch im relativen Abstieg sicher zu bewältigen, ist die Aufgabe, vor der die Europäer stehen. Schauen wir uns also an, was nötig ist,
um diesen zu
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