Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
Vom Netzwerk:
stand, den Harry kannte. Harry stellte den Wagen ins Halteverbot unmittelbar vor dem Eingang zur Gøteborggata 4. Dann gingen sie hinein und warteten vor dem Aufzug. Harry entnahm dem roten Display über der Tür, dass der Aufzug im dritten Stock stand, auf der Etage also, auf der Jons Wohnung lag. Noch bevor sie auf den Knopf drücken konnten, hörten sie, wie sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte. Die Zahlen verrieten ihnen, dass er auf dem Weg nach unten war. Harry wischte sich die Handflächen an den Hosenbeinen ab.
    »Sie mögen keine Aufzüge«, sagte Jon.
    Harry blickte ihn überrascht an. »Sieht man das? «
    Jon lächelte: »Mein Vater auch nicht. Kommen Sie, wir nehmen einfach die Treppe.«
    Als sie ein Stück weit die Treppe nach oben gegangen waren, hörten sie hinter sich die Fahrstuhltüren aufgehen.
    Sie traten in Jons Wohnung und Harry blieb bei der Tür stehen, als Jon ins Badezimmer ging, um seine Toilettensachen zu holen.
    »Merkwürdig«, sagte Jon mit gerunzelter Stirn. »Es kommt mir so vor, als wäre gerade jemand hier gewesen.«
    »Die Leute von der Spurensicherung waren hier und haben die Projektile gesichert«, sagte Harry.
    Jon verschwand im Schlafzimmer und kam mit einer Tasche zurück. »Es riecht so komisch«, sagte er.
    Harry sah sich um. Auf dem Rand des Spülbeckens standen zwei Gläser, doch ohne sichtbare Spuren von Milch oder einem anderen Getränk am Rand, aus denen man Schlüsse hätte ziehen können. Keine Anzeichen von geschmolzenem Schnee auf dem Teppich, nur ein paar helle Holzsplitter vor dem Schreibtisch, die von einer aufgebrochenen Schublade zu stammen schienen. »Sehen wir zu, dass wir wegkommen«, sagte Harry.
    »Warum steht mein Staubsauger da?«, fragte Jon und zeigte in die Ecke. »Haben Ihre Leute den benutzt?«
    Harry kannte die kriminaltechnischen Prozeduren, doch für keine davon benötigte man einen Staubsauger.
    »Gibt es außer Ihnen noch jemand, der einen Schlüssel für die Wohnung hat?«, fragte Harry.
    Jon zögerte. »Thea, meine Freundin. Aber sie würde hier niemals einfach so Staub saugen.«
    Harry betrachtete die Holzsplitter vor dem Schreibtisch. Die wären doch als Erstes aufgesaugt worden. Dann ging er zum Staubsauger. Der Fuß war vom Plastikende des Schlauches abgenommen worden. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er hob den Schlauch an und starrte in die kreisrunde schwarze Mündung. Fuhr mit dem Zeigefinger am Rand entlang und betrachtete seine Fingerkuppe.
    »Was ist los?«, fragte Jon.
    »Blut«, sagte Harry. »Sehen Sie bitte nach, ob die Tür zu ist. «
    Harry wusste es bereits. Dass er auf der Türschwelle des Raums stand, den er hasste und den er dennoch betreten musste. Er nahm den Plastikdeckel in der Mitte des Staubsaugers ab. Löste den gelben Staubsaugerbeutel aus seiner Halterung und nahm ihn heraus. Er dachte, dass dies der eigentliche Raum des Schmerzes war: derMoment, in dem er gezwungen wurde, all seine Fähigkeiten dazu zu nutzen, sich in das Böse hineinzuversetzen. Eine Fähigkeit, von der er immer häufiger dachte, dass er sie schon viel zu gut trainiert hatte.
    »Was tun Sie da?«, fragte Jon.
    Der Beutel war so voll, dass er spannte. Harry packte das dicke, weiche Papier und zerriss es. Eine Wolke schwarzen Staubes erhob sich wie der Geist aus einer Flasche. Sie stieg schwerelos zur Decke, während Jon und Harry auf den Inhalt starrten, der jetzt auf dem Parkett lag.
    »Gnade uns Gott«, flüsterte Jon.

 
    KAPITEL 18
    Freitag, 18. Dezember. Der Schacht
     
     
    M ein Gott«, stöhnte Jon und tastete nach einem Stuhl. »Was ist hier passiert? Das ist doch … das ist doch ?«
    »Ja«, sagte Harry, der neben dem Staubsauger in die Hocke gegangen war und sich auf seinen Atem konzentrierte. »Das ist ein Auge.«
    Der Augapfel sah aus wie eine blutige, gestrandete Qualle. Staub klebte an der weißen Oberfläche. Auf der blutigen Rückseite konnte Harry die Muskelansätze erkennen und einen dickeren, wurmartigen Zapfen, den Sehnerv. »Ich frage mich, wie es unbeschadet durch den Filter in den Staubbeutel gelangen konnte? Wenn es denn wirklich eingesaugt worden sein sollte.«
    »Ich habe den Filter entfernt«, sagte Jon mit zitternder Stimme. »Dann saugt er nämlich besser.«
    Harry nahm einen Stift aus der Jackentasche und drehte das Auge damit vorsichtig um. Die Konsistenz fühlte sich weich an, mit festem Kern. Er trat etwas zur Seite, damit das Licht der Deckenlampe auf die Pupille fiel. Sie war groß, schwarz

Weitere Kostenlose Bücher