Der Erl�ser
der Tastatur herum, und gleich darauf erschienen zwei Bilder des Mannes auf der Leinwand. Das eine, als er die Karte herausnahm, das andere, als er auf die Uhr sah.
»Ich habe diese beiden Bilder ausgesucht, weil sein Gesicht bei beiden in etwa in der gleichen Position ist, so dass man es gut erkennen kann. Die zwei Bilder sind also mit etwa 100 Sekunden Abstand aufgenommen worden. Siehst du das?«
»Nein«, sagte Harry wahrheitsgemäß. »Ich hab wohl kein Talent für so was – ich kann auf diesen Bildern nämlich nicht einmal erkennen, dass das dieselbe Person ist. Oder dass das der ist, den ich unten am Akerselva gesehen habe.«
»Gut, das ist es ja gerade.«
»Was?«
»Hier ist das Bild von seiner Kreditkarte«, sagte Beate und klickte. Das Bild eines Mannes mit kurzen Haaren und Schlips erschien auf der Leinwand.
»Und hier sind die, die das Dagbladet von ihm auf dem Egertorg geschossen hat. «
Zwei weitere Bilder.
»Siehst du, dass das die gleiche Person ist?«
»Äh, nein.«
»Ich auch nicht.«
» Du auch nicht? Aber wenn du das nicht kannst, bedeutet das doch, dass es nicht die gleiche Person ist! «
»Nein«, sagte Beate. »Das bedeutet bloß, dass wir es hier mit einem Fall von sogenannter Hypermobilität zu tun haben. In Fachkreisen auch visage du pantomime genannt.«
»Was in aller Welt redest du da? «
»Ein Mensch, der weder Schminke, Verkleidung noch eine plastische Operation braucht, um sich zu verwandeln.«
Im Sitzungszimmer der roten Zone wartete Harry, bis sich alle Mitarbeiter der Sonderkommission gesetzt hatten, ehe er das Wort ergriff:
»Wir wissen jetzt, dass wir nach nur einem Mann suchen. Ich wiederhole, einem Mann. Vorläufig nennen wir diesen Mann Christo Stankic. Beate?«
Beate schaltete einen Projektor ein, und auf der Leinwand erschien ein Gesicht mit geschlossenen Augen, das aussah, als wäre es von einer Schicht roter Spaghetti bedeckt.
»Was Sie hier sehen, ist eine Darstellung unserer Gesichtsmuskulatur«, begann sie. »Die Muskeln, die wir benutzen, um einen bestimmten Gesichtsausdruck zu erzeugen, womit wir unser Aussehen verändern. Die wichtigsten Muskeln sitzen an der Stirn, um die Augen herum und am Mund. Diesen hier nennt man zum Beispiel Musculus frontalis . Er ist gemeinsam mit dem Musculus corrugator supersilii dafür zuständig, die Augenbrauen hoch- oder zusammenzuziehen. Den Orbicularis oculi benötigt man, um die Augenpartie des Gesichtes zu spannen oder zu verengen. Und so weiter.«
Beate drückte auf die Fernbedienung. Jetzt erschien das Bild eines Clowns mit aufgeblasenen Wangen.
»Wir haben Hunderte solcher Muskeln im Gesicht, aber selbst die Menschen, die vom Grimassenschneiden leben, nutzen nureinen Bruchteil ihrer Möglichkeiten. Schauspieler und Komiker trainieren ihre Gesichtsmuskeln, um maximale Bewegungen zu erzielen, eine Fähigkeit, die wir anderen meist schon im Kindesalter verlieren. Nun benutzen Schauspieler und Pantomimen vorwiegend die Mimik, um ein bestimmtes Gefühl auszudrücken. Und obwohl diese Bewegungen des Gesichts so wichtig sind, sind sie eben doch universell und ziemlich begrenzt. Wut, Freude, Verliebtheit, Überraschung, leichtes Lachen, heftiges Lachen und so weiter. Dabei hat uns die Natur durch diese Muskeln die Möglichkeit an die Hand gegeben, eine unbegrenzte Anzahl verschiedenster Gesichtsausdrücke anzunehmen. Ein Konzertpianist hat die Verbindung zwischen Gehirn und Fingermuskulatur so weit trainiert, dass sie gleichzeitig zehn verschiedene Aufgaben erfüllen können, und das ganz unabhängig voneinander. Dabei haben wir in den Fingern gar nicht so viele Muskeln. Was könnten wir dann nicht alles mit unserem Gesicht anstellen?«
Beate warf das Bild von Christo Stankic vor dem Geldautomaten auf die Leinwand.
»Tja, wir können zum Beispiel so etwas hier.«
Der Film begann in Zeitlupe.
»Sie können die Änderungen kaum sehen. Die winzigen Muskeln, die sich zusammenziehen oder entspannen. Das Ergebnis all dieser kleinen Bewegungen ist aber ein anderer Gesichtsausdruck. Verändert sich das Gesicht dabei wirklich so stark? Nein, aber der Teil des Gehirns, der die Gesichter wiedererkennt – unser Gyrus fusiformis –, reagiert ungeheuer sensibel auf die kleinen Änderungen, da seine Aufgabe ja darin besteht, zwischen Tausenden von – physiologisch gesehen – gleichen Gesichtern zu unterscheiden. Doch diese fein abgestufte Anspannung der Gesichtsmuskeln führt dazu, dass wir glauben, es mit einer anderen
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