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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Oktober ins Vinmonopol, das staatliche Spirituosengeschäft, gegangen war, sich eine Flasche seines schlimmsten Feindes, Jim Beam, gekauft und sie in den Flachmann umgefüllt hatte. Den Rest hatte er ins Waschbecken gekippt. Seither trug er das Gift bei sich, etwa so, wie die Nazigrößen früher mit Zyankalikapseln in den Absätzen herumgelaufen waren. Wie war er nur auf diese bescheuerte Idee gekommen? Er wusste es nicht. Es war auch nicht so wichtig. Es funktionierte.
    Harry sah auf die Uhr. Bald elf. Zu Hause wartete eine oft benutzte Espressokanne und eine noch nie gesehene DVD, die er sich für solche Abende aufgehoben hatte. »All About Eve«, Mankiewicz’ Meisterwerk von 1950 mit Bette Davis und George Sanders.
    Er horchte in sich hinein. Und wusste, dass es der Containerhafen werden würde.
     
    Harry hatte den Mantelkragen hochgeschlagen und stellte sich mit dem Rücken in den Nordwind, der durch das hohe Gitter vor ihm fegte und an den Containerecken hinter dem Zaun kleine Schneewehen zusammenblies. Das Hafengelände sah mit seinen großen, kahlen Flächen aus wie eine Wüste. Jedenfalls jetzt, mitten in der Nacht.
    Das eingezäunte Gelände war hell erleuchtet, aber die Laternenpfähle schwankten im Wind, und tiefe Schatten verliefen zwischen den Reihen der Container, von denen jeweils zwei oder drei übereinandergestapelt waren. Der Container, den Harry betrachtete, war rot, eine Farbe, die furchtbar schlecht zum orangen Absperrband der Polizei passte. Aber in Oslo im Dezember gab er einen guten Zufluchtsort ab, etwa in der Größe einer Ausnüchterungszelle im Polizeipräsidium.
    Im Bericht der Einsatzgruppe – die kaum eine Gruppe gewesen war, bloß ein Kommissar und ein Beamter der Spurensicherung – war festgehalten worden, dass der Container bereits einige Zeit leer gestanden hatte. Und unverschlossen gewesen war. Der Aufseher des Containerhafens hatte erklärt, dass sie es nicht so schrecklich genau damit nahmen, leere Container abzuschließen, da das Gelände ja abgesperrt und bewacht sei. Trotzdem war es diesem Junkiegelungen, einen Weg hinein zu finden. Vermutlich war Per Holmen einer der vielen gewesen, die sich rund um Bjørvika aufhielten, da dieser Teil des Hafens nur einen Steinwurf vom Drogensupermarkt Plata entfernt lag. Vielleicht hatte der Aufseher ja ganz bewusst ein Auge zugedrückt, wenn seine Container als Übernachtungsgelegenheit benutzt wurden. Möglicherweise wusste er auch, dass sie dem einen oder anderen das Leben retten konnten?
    Es war kein Schloss am Container, aber das Tor des Zauns war mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert. Harry ärgerte sich, nicht aus dem Polizeipräsidium angerufen und sein Kommen angemeldet zu haben. Sollte es hier wirklich Wachen geben, waren sie nirgends zu sehen.
    Harry sah auf die Uhr. Dachte nach und blickte am Zaun nach oben. Er war gut in Form. So gut wie schon lange nicht mehr. Er hatte seit dem fatalen Aussetzer im letzten Sommer keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt und regelmäßig im Kraftraum des Präsidiums trainiert. Mehr als regelmäßig. Noch vor dem ersten Schnee hatte er im Stadion von Økern Tom Waalers alten Rekord im Hindernislauf gebrochen. Ein paar Tage später fragte Halvorsen vorsichtig, ob all das Training mit Rakel zusammenhing. Er habe nämlich den Eindruck, dass sie sich nicht mehr sähen? Harry erklärte dem jungen Beamten kurz und knapp, dass sie sich zwar das Büro teilten, nicht aber das Privatleben. Halvorsen zuckte bloß mit den Schultern und fragte, mit wem Harry denn sonst reden wolle, und sah seine Annahme bestätigt, als Harry aufsprang und aus dem Zimmer 605 marschierte.
    Drei Meter. Kein Stacheldraht. Leicht. Harry packte das Gitter so weit oben, wie er konnte, stemmte die Füße gegen den Zaunpfahl und richtete sich auf. Dann schob er die rechte Hand hoch, danach die linke, hing einen Moment an gestreckten Armen, bis er mit den Füßen erneut Halt fand. Wie eine Spannerraupe. Schließlich schwang er sich auf die andere Seite hinüber.
    Er zog den Bolzen hoch und öffnete die Containertür, nahm die solide schwarze Army-Taschenlampe, ging gebückt unter der Absperrung hindurch und trat ein.
    Drinnen war es seltsam still, als seien auch die Geräusche eingefroren.
    Harry schaltete die Taschenlampe ein und richtete sie auf die hinterste Ecke des Containers. Im Lichtschein sah er die Kreidestriche am Boden. Dort hatten sie Per Holmen gefunden. Beate Lønn, die Leiterin der Kriminaltechnik in der

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