Der Erl�ser
untersucht. Jetzt stand er im Schlafzimmer und spürte, wie sich sein Puls langsam wieder beruhigte. Harry Hole war nicht zu Hause.
Er steckte die leere Pistole wieder in die Tasche der schmutzigen Jeansjacke und spürte, wie sie die WC-Steine zerdrückte, die er aus den Toiletten am Bahnhof mitgenommen hatte. In der Telefonzelle davor hatte er über die Auskunft Harrys Adresse in der Sofies gate herausbekommen.
Es war leichter gewesen, in die Wohnung zu kommen, als er befürchtet hatte. Nachdem er unten zweimal erfolglos geklingelt hatte, wollte er schon aufgeben, doch dann war die Tür wie von allein aufgegangen, als er dagegendrückte. Vermutlich war sie aufgrund der Kälte nicht richtig geschlossen gewesen. An einer Tür im zweiten Stock stand auf einem Stück Klebeband der Name Hole. Er drückte seine Mütze auf das Fenster über dem Schloss und schlug das Glas mit dem Lauf der Pistole ein. Es barst mit einem spröden Knacken.
Die Wohnzimmerfenster gingen zum Innenhof hinaus, so dass er es wagte, eine Lampe einzuschalten. Er sah sich um. Einfach und spartanisch. Ordentlich.
Nur sein trojanisches Pferd, der Mann, der ihn zu Jon Karlsen führen sollte, war nicht da. Vorläufig. Aber vielleicht hatte er eine Waffe oder Munition. Er begann mit den Orten, an denen ein Polizist eine Waffe aufbewahren würde, und suchte in Schränken und Schubladen und unter dem Kopfkissen. Als er nichts fand, ging er Raum für Raum noch einmal systematisch durch, doch ohne Resultat. Zu guter Letzt stürzte er sich in das planlose Suchen, das zeigt, dass man die Hoffnung eigentlich längst aufgegeben hat und der Verzweiflung nahe ist. Auf dem Telefontischchen fand er unter einem Brief einen Polizei-Ausweis mit dem Bild von Harry Hole. Er steckte ihn ein. Dann suchte er hinter den alphabetisch geordneten Büchern und Schallplatten. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein Stapel Papiere. Er blätterte sie durch und blieb bei einer Fotografie hängen, deren Motiv er in unzähligen Varianten kannte: eintoter Mann in Uniform. Robert Karlsen. Er sah den Namen Stankic. Ein Formular, auf dem ganz oben der Name von Harry Hole stand. Auf dem Weg nach unten verharrte sein Blick auf einem Kreuz, das hinter einem bekannten Begriff gemacht worden war. Smith & Wesson .38. Der Unterzeichnete hatte seinen Namen mit grandiosen Schnörkeln geschrieben. Ein Waffenschein? Ein Ausgabeschein?
Er gab auf. Harry Hole trug die Waffe also bei sich.
Er ging in das enge, aber saubere Bad und drehte den Hahn auf. Das warme Wasser ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Der Ruß von seinem Gesicht färbte das Waschbecken schwarz. Dann drehte er das kalte Wasser auf, und als sich das geronnene Blut an seinen Händen löste, färbte sich das Becken rot. Er trocknete sich ab und öffnete den Schrank über dem Waschbecken. Fand eine Mullbinde und wickelte sie sich um die Schnittwunde an der Hand, die er sich an der Glasscherbe geholt hatte.
Irgendetwas fehlte.
Er sah ein kurzes, steifes Haar neben dem Wasserhahn. Ein Barthaar. Aber hier standen weder Rasiermesser noch Rasierschaum. Und auch keine Zahnbürste, Zahnpasta oder eine Kulturtasche. Sollte Hole auf Reisen sein? Mitten in einer Mordermittlung? Oder wohnte er bei seiner Freundin?
Im Kühlschrank in der Küche fand er eine Milchtüte, deren Haltbarkeitsdatum erst in sechs Tagen ablief, ein Glas Marmelade, einen Brie, drei Dosen Labskaus, und im Gefrierfach fand sich noch eine Tüte Graubrot in Scheiben. Er nahm die Milch, das Brot und zwei Dosen heraus und schaltete die Herdplatte ein. Neben dem Toaster lag eine Zeitung mit dem aktuellen Datum. Frische Milch, tagesaktuelle Zeitung. Er begann an der Reisetheorie zu zweifeln.
Er hatte gerade ein Glas aus dem Wandschrank genommen und wollte sich Milch eingießen, als ihn ein Geräusch so zusammenzucken ließ, dass ihm der Milchkarton aus den Händen fiel.
Das Telefon.
Er sah die Milch über die roten Terrakottafliesen laufen und hörte das aufdringliche Klingeln im Flur. Nach dem dritten Mal klickte es mehrmals mechanisch und plötzlich war die Stimme einerFrau zu hören. Die Worte kamen schnell. Sie klang heiter und lachte, ehe sie auflegte. Ihre Stimme erinnerte ihn an jemand.
Er stellte die geöffneten Labskausdosen auf die heiße Bratpfanne, wie sie es während der Belagerung getan hatten. Nicht weil sie keine Teller hatten, sondern damit alle sehen konnten, dass die Portionen gleich groß waren. Dann ging er in den Flur. Auf dem kleinen schwarzen
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