Der Erl�ser
… Verbrechen durchzuziehen. Ein Verbrecher muss mutig sein. Stark. Ein Mann, nicht wahr? Nicht nur ...« Er atmete hart durch die Nase und spuckte die Worte aus: »... der Sohn von irgendjemand!«
Jon stand auf. »Ich muss gehen.«
Mads Gilstrup nickte. »Ich habe da etwas, was Ihnen gehört. Nennen wir es ein « Er kniff sich nachdenklich in die Oberlippe. »Ein Abschiedsgeschenk von Ragnhild. «
In der Holmenkollenbahn starrte Jon nachdenklich auf die schwarze Tasche, die er von Mads Gilstrup bekommen hatte.
*
Es war so kalt, dass die wenigen mutigen Sonntagsspaziergänger die Schultern hochgezogen und die gesenkten Köpfe in Mützen und Schals gewickelt hatten. Aber Beate Lønn spürte die Kälte nicht, als sie in der Jacob Aalls gate die Klingel der Familie Miholjec drückte. Seit der letzten Nachricht aus dem Krankenhaus spürte sie gar nichts mehr.
»Sein Herz macht uns mittlerweile nicht mehr die größten Sorgen«, hatte der Arzt gesagt. »Einige andere Organe haben jetzt Probleme bekommen. Vor allem die Nieren.«
Frau Miholjec wartete an der Tür und führte Beate in die Küche, in der ihre Tochter Sofia saß und an ihren Haaren herumfingerte. Frau Miholjec goss Wasser in die Kaffeekanne und stellte drei Tassen auf den Tisch.
»Es ist vielleicht das Beste, wenn Sofia und ich das unter vier Augen besprechen«, sagte Beate.
»Sie will, dass ich dabei bin«, antwortete Frau Miholjec. »Kaffee? «
»Nein, danke, ich muss zurück ins Reichshospital. Es wird nicht lange dauern.«
»Na dann«, sagte Frau Miholjec und kippte das Wasser wieder aus.
Beate setzte sich vor Sofia. Versuchte, ihren Blick einzufangen, aber das Mädchen begutachtete weiter hartnäckig seine Haarspitzen.
»Bist du sicher, dass wir das nicht zu zweit besprechen sollen, Sofia?«
»Warum?«,fragte sie in dem gleichgültigen Ton, mit dem gereizte Jugendliche verblüffend effektiv das erreichen, was sie sich vorgenommen haben: ihr Gegenüber auch zu reizen.
»Es geht aber um ziemlich persönliche Dinge, Sofia.«
»Diese Frau ist meine Mutter!«
»Okay«, sagte Beate. »Hast du eine Abtreibung machen lassen?« Sofia erstarrte. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, in einer Mischung aus Wut und Schmerz.
»Wovon reden Sie?«, sagte sie kurz, vermochte ihre Überraschung aber nicht zu verbergen.
»Wer war der Vater?«, fragte Beate.
Sofia fuhr damit fort, imaginäre Kletten aus ihren Haaren zu ziehen. Der Mund von Frau Miholjec öffnete sich leicht.
»Hattest du freiwillig mit ihm Sex?«, fuhr Beate fort. »Oder hat er dich vergewaltigt?«
»Was erlauben Sie sich eigentlich!«, mischte sich die Mutter ein. »Sie ist doch noch ein Kind, und Sie wagen es, mit ihr zu reden, als wäre sie eine … eine Hure!«
»Ihre Tochter war schwanger, Frau Miholjec. Ich will nur wissen, ob das mit dem Mordfall in Zusammenhang steht, in dem wir ermitteln.«
Der Unterkiefer der Mutter schien den Halt zu verlieren. Ihr Mund stand jetzt vollends offen. Beate beugte sich zu Sofia vor. »War es Robert Karlsen, Sofia? War er es?«
Sie sah, dass die Unterlippe des Mädchens zu zittern begann. Die Mutter stand auf. »Was redet die denn da, Sofia? Sag, dass das nicht wahr ist! «
Sofia legte ihr Gesicht auf die Tischplatte und bedeckte den Kopf mit den Armen.
»Sofia!«, schrie ihre Mutter.
»Ja«, flüsterte Sofia von Tränen erstickt. » Er war es. Es war Robert Karlsen. Ich hätte nicht gedacht, dass er … dass er … so etwas dass er so ist. «
Beate stand auf. Sofia schluchzte, und ihre Mutter sah aus, als hätte ihr jemand ins Gesicht geschlagen. Beate selbst fühlte nur Taubheit. »Der Mann, der Robert getötet hat, wurde letzte Nacht gefasst«, sagte sie. »Die Einsatztruppe hat ihn heute Nacht im Containerhafen erschossen. Er ist tot.«
Sie suchte nach Reaktionen, bekam aber keine.
»Ich gehe jetzt.«
Niemand hörte sie, und sie ging allein zur Tür.
*
Er stand am Fenster und starrte über die wellige, weiße Landschaft. Sie sah aus wie ein Meer aus Milch, das plötzlich gefroren war. Auf einigen Wellenkämmen sah er Häuser und rote Scheunen. Die Sonne hing niedrig und erschöpft über den Hügeln.
»They are not coming back« , sagte er. »Sie sind weg. Wenn sie denn überhaupt jemals hier waren. Vielleicht haben Sie ja gelogen?«
»Sie waren hier«, sagte Martine und zog den Topf vom Herd. »Es war warm, als wir kamen, und Sie haben selbst die Fußspuren im Schnee gesehen. Es muss etwas vorgefallen sein.
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