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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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geschickt?«
    »Nilsen.«
    »Nilsen? Welcher Nilsen?«
    Harry öffnete wieder die Augen.
    Er blinzelte etwas verwirrt in die Lichter des entgegenkommenden Verkehrs. »Dann muss es wohl Rikard sein.«
    »Witziges Spielchen«, sagte Beate.
    »Fahr«, sagte Harry.
     
    *
     
    Die Dunkelheit hatte sich über den Østgård gesenkt. Auf dem Fensterbrett plapperte das Radio.
    »Und es gibt wirklich niemand, der Sie wiedererkennen könnte?«, fragte Martine.
    »Doch, schon«, sagte er. »Aber das braucht Zeit. Es dauert lang, mein Gesicht kennenzulernen. Und bis jetzt hat sich kaum jemand diese Zeit genommen.«
    »Es liegt also nicht an Ihnen, sondern an den anderen?«
    »Vielleicht. Aber ich wollte ja auch nicht, dass man mich wiedererkennt. Das mit meinem Gesicht, das ist etwas … das ist etwas, was ich selbst mache.«
    »Sie entziehen sich.«
    »Nein, im Gegenteil. Ich infiltriere, dringe ein, mache mich unsichtbar und schleiche mich, wohin ich will.«
    »Aber wenn Sie niemand sieht, was nützt das dann?«
    Er sah sie überrascht an. Ein Jingle kam aus dem Radio, und eine Frauenstimme begann mit sachlichem Ernst die Nachrichten vorzutragen.
    »Was sagt sie?«, fragte er.
    »Es wird noch kälter. Die Kindergärten schließen. Alte Menschen werden aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben und Strom zu sparen.«
    »Aber Sie haben mich gesehen«, sagte er. »Sie haben mich wiedererkannt. «
    »Ich sehe mir die Menschen an«, sagte sie. »Ich sehe sie. Das ist mein einziges Talent.«
    »Helfen Sie mir deshalb?«, fragte er. »Haben Sie deshalb kein einziges Mal versucht abzuhauen?«
    Sie musterte ihn. »Nein, nicht deshalb«, sagte sie schließlich. »Warum dann?«
    »Weil ich Jon Karlsen den Tod wünsche. Ich will, dass er noch toter ist, als Sie es sind.«
    Er zuckte zusammen. War sie verrückt?
    »Ich? Tot?«
    »Das wird schon seit Stunden in den Nachrichten gesagt.« Sie nickte zum Radio hinüber.
    Sie holte tief Luft und leierte mit dem aufgesetzten Ernst einer Nachrichtensprecherin: »Der Haupttatverdächtige des Mordes auf dem Egertorg wurde heute Nacht bei einem Polizeieinsatz im Containerhafen von den Einsatzkräften der Polizei erschossen. Nach Aussage des Einsatzleiters Sivert Falkeid hat sich der Mann der Verhaftung widersetzt und zur Waffe gegriffen. Der Leiter des Morddezernats, Gunnar Hagen, ließ verlauten, der Fall werde routinemäßig an die SEFO zur Innenrevision weitergeleitet. Hagen betonte, dieser Fall zeige erneut, dass die Polizei zunehmend mit organisierter Kriminalität konfrontiert sei, die immer brutaler vorgehe. Man solle in der Debatte über die Bewaffnung der Polizei nicht nur über die angemessene Handhabe diskutieren, sondern auch über die persönliche Sicherheit der Beamten.«
    Er blinzelte zweimal. Dreimal. Dann dämmerte es ihm. Christopher. Die blaue Jacke.
    »Ich bin tot«, sagte er. »Deshalb sind sie gefahren,als wir hierherkamen. Sie glaube n, es ist vorbei.« Er legte seine Hand auf die von Martine. »Du wünschst Jon Karlsen den Tod? «
    Sie starrte vor sich hin. Holte tief Luft, als wollte sie etwas sagen, atmete dann aber mit einem leisen Stöhnen wieder aus, als wären die Worte, die sie gefunden hatte, nicht die richtigen gewesen. Dann versuchte sie es erneut. Beim dritten Ansatz gelang es:
    »Weil Jon Karlsen Bescheid weiß. All die Jahre schon. Deshalb hasse ich ihn. Und deshalb hasse ich mich selbst.«
     
    *
     
    Harry starrte auf den nackten, toten Körper herab, der vor ihm auf dem Tisch lag. Es machte fast keinen Eindruck mehr auf ihn, sie so zu sehen. Fast.
    Der Raum hatte eine Temperatur von etwa vierzehn Grad, und die glatten Zementwände warfen ein kurzes, hartes Echo zurück, als die Gerichtsmedizinerin auf Harrys Fragen antwortete:
    »Nein, wir hatten eigentlich nicht vor, ihn zu obduzieren. Wir haben alle Hände voll zu tun, und in diesem Fall ist die Todesursache wohl mehr als eindeutig, finden Sie nicht auch?« Sie wies auf das Gesicht. Dort klaffte, wo Nase und Oberlippe sein sollten, ein großes, schwarzes Loch, so dass man in die Mundhöhle und die Zähne des Oberkiefers sehen konnte.
    »Ein ganz schöner Krater«, sagte Harry. »Sieht nicht gerade nach einer MP5 aus. Wann bekomme ich den Bericht?«
    »Fragen Sie Ihren Chef. Er hat darum gebeten, direkt informiert zu werden.«
    »Hagen?«
    »Genau. Bitten Sie ihn um eine Kopie, wenn es eilt.«
    Harry und Beate tauschten einen Blick.
    »Hören Sie«, sagte die Gerichtsmedizinerin mit einem hochgezogenen

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