Der Erl�ser
intensiver wurde, je weiter er kam. Er ging an einer Küche mit Kücheninsel und einem Esstisch mit zwölf Stühlen vorbei. Das Spülbecken war voller Teller und Gläser, und daneben standen leere Bier- und Schnapsflaschen. Aus der Küche drang ein ekliger Geruch nach verdorbenem Essen und Bier. Jon ging weiter. Auf dem Flur lagen Kleider. Er blickte durch eine Tür ins Badezimmer. Es roch nach Erbrochenem.
Als er um eine Ecke kam, hatte er plötzlich einen Panoramablick über Oslo und den Oslofjord, den er vorher so nur gesehen hatte, wenn er mit seinem Vater eine Wanderung ganz oben in der Nordmarka gemacht hatte.
Mitten im Wohnzimmer war eine Leinwand aufgespannt, über deren Weiß stumme Bilder liefen. Der Amateurfilm einer Hochzeit. Ein Vater führte die Braut über den Mittelgang, während sie lächelnd den Gästen rechts und links zunickte.
Das leise Surren des Ventilators im Inneren des Projektors war das Einzige, was Jon hörte. Vor der Leinwand sah er den Rücken eines hohen, schwarzen Drehsessels und zwei leere und eine halb volle Flasche, die daneben auf dem Boden standen.
Jon räusperte sich laut und trat näher.
Der Sessel drehte sich langsam herum.
Und Jon blieb abrupt stehen.
Im Sessel saß ein Mann, in dem er nur bedingt Mads Gilstrup wiedererkannte. Er trug ein weißes, sauberes Hemd und schwarze Hosen, aber er war unrasiert, sein Gesicht aufgedunsen und geschwollen, und seine Augen wirkten wie ausgewaschen. Auf seinem Schoß lag eine doppelläufige schwarze Flinte, mit sorgsam geschnitzten Tieren auf dem tiefroten Kolben. So wie er saß, zeigte die Mündung der Waffe direkt auf Jon.
»Jagen Sie, Karlsen ? «, fragte Mads Gilstrup leise mit heiserer, vom Alkohol gepeinigter Stimme.
Jon schüttelte den Kopf, ohne den Blick von der Flinte nehmen zu können.
»In unserer Familie jagen wir alles«, sagte Gilstrup. »Kein Wild ist zu klein, keines zu groß. Ich glaube fast, das ist unser Familienmotto.Mein Vater hat alles geschossen, was laufen oder kriechen kann. Jeden Winter reist er in ein Land, in dem es Tiere gibt, die er noch nicht geschossen hat. Letztes Jahr war er in Paraguay, da ging es wohl um einen seltenen Waldpuma. Ich selbst bin nicht gerade ein Ass. Das meint jedenfalls Vater. Er ist der Ansicht, ich sei nicht kaltblütig genug. Er sagte immer, das einzige Tier, das ich je gefangen hätte, sei die da. « Mads Gilstrup deutete mit dem Kopf auf die Leinwand. »Na ja, er war wohl eher der Ansicht, dass sie mich eingefangen hat. «
Mads Gilstrup legte die Flinte neben sich auf den Wohnzimmertisch und machte eine einladende Geste mit der Hand. »Setzen Sie sich. Wir unterzeichnen diese Woche ja einen vollständigen Übernahmevertrag mit Ihrem Chef David Eckhoff. Zuerst geht es dabei um die Immobilien in der Jacob Aalls gate. Vater ist Ihnen sehr dankbar, dass Sie den Verkauf befürwortet haben.«
»Ich fürchte, da brauchen Sie sich nicht bei mir zu bedanken«, sagte Jon und setzte sich auf das schwarze Sofa. Das Leder war weich und eiskalt. »Das war eine durch und durch professionelle Kalkulation.«
»Ach ja? Lassen Sie hören.«
Jon schluckte. »Der Nutzen des Geldes, das in den Immobilien feststeckt, gegen den Nutzen, den es bringen kann, wenn wir damit die andere Arbeit finanzieren, die wir machen.«
»Aber andere Verkäufer hätten die Immobilien vielleicht auf dem freien Markt angeboten?«
»Das hätten wir auch gerne getan. Aber Sie sind ja hart geblieben und haben uns mehr als deutlich gemacht, dass Sie bei einem Angebot für die gesamte Immobilienmasse keine Auktion akzeptieren.«
»Trotzdem war Ihre Expertise ausschlaggebend.«
»Ich habe das Angebot für gut befunden.«
Mads Gilstrup grinste. »Verdammt, Sie hätten das Doppelte kriegen können.«
Jon zuckte mit den Schultern. »Möglich, dass wir mehr hätten kriegen können, wenn wir die Immobilienmasse aufgesplittet hätten, aber so sparen wir uns einen langwierigen und kräftezehrenden Verkaufsprozess. Und die Mitglieder des leitenden Ausschusses haben beteuert, dass sie Vertrauen in Sie als Vermieter haben.Wir müssen ja auf einige Mieter Rücksicht nehmen. Wer weiß, was skrupellosere Käufer mit denen gemacht hätten.«
»Die Klausel über die eingefrorenen Mietpreise und die Beibehaltung der bestehenden Mietverträge gilt aber nur achtzehn Monate.«
»Vertrauen ist wichtiger als Klauseln.«
Mads Gilstrup beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Karlsen, da haben Sie verdammt recht. Wissen Sie eigentlich,
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