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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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zurück, und er erkannte, dass das, was er für die Reste eines Traums gehalten hatte, etwas ganz anderes gewesen war. Er hattewirklich einen Schlüssel im Schloss gehört. Und eine sich öffnende Tür. Und jetzt atmete jemand im Zimmer.
    Mit dem Eindruck eines Déjà-vu, mit dem Gefühl, dass sich alles in diesem Albtraum immer und immer wiederholte, wirbelte er herum.
    Eine Gestalt beugte sich über das Bett.
    Jon rang nach Atem, als die Todesangst zubiss und ihm ihre Zähne ins Fleisch schlug, bis auf die Nerven der Knochenhaut. Denn er hatte nicht die Spur eines Zweifels, er war sich ganz sicher, dass diese Person seinen Tod wollte.
    »Stigla sam« , sagte die Gestalt.
    Jon kannte nicht viele kroatische Worte, doch das, was er bei den Mietern aus Vukovar aufgeschnappt hatte, reichte, um die wenigen Worte zu verstehen:
    »Ich bin gekommen.«
     
    *
     
    »Bist du immer einsam gewesen, Harry?«
    »Ich glaube schon.«
    »Warum?«
    Harry zuckte mit den Schultern. »Ich war nie sonderlich sozial.« »Ist das alles?«
    Harry blies einen Rauchring an die Decke und spürte, dass Martine an seinem Pullover und an seinem Hals schnupperte. Sie lagen im Schlafzimmer. Er auf der Decke, sie darunter.
    »Bjarne Møller, mein voriger Chef, meinte, dass Menschen wie ich immer den Weg des größten Widerstands wählen. Er meinte, das liege an unserer ›verdammten Natur‹, wie er es nannte. Und es endet immer damit, dass man allein dasteht. Ich weiß nicht. Ich bin gerne allein. Und vielleicht hat mir mit der Zeit auch einfach dieses Selbstbild als einsamer Mensch immer besser gefallen. Und wie ist es mit dir?«
    »Ich will, dass du erzählst.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Ich höre dich gerne reden. Wie kann einem das gefallen, wenn man merkt, dass man einsam ist?«
    Harry inhalierte tief. Hielt den Rauch in den Lungen und dachte,wie toll es wäre, wenn man Rauchfiguren formen könnte, die alles erklärten. Dann atmete er mit einem lang gezogenen, heiseren Geräusch aus:
    »Ich glaube, um zu überleben, muss man an sich selbst etwas finden, das man mögen kann. Allein zu sein ist für manche asozial und egoistisch. Aber man ist unabhängig und zieht niemand anderen mit sich hinunter, wenn es mit einem bergab geht. Viele haben Angst vor der Einsamkeit. Mich aber machte sie frei, stark, unverwundbar.«
    »Stark durch Alleinsein?«
    »Ja, wie schon Doktor Stockmann sagte: Der ist der stärkste Mann der Welt, der allein steht.«
    »Erst Süskind und jetzt Ibsen?«
    Harry grinste. »Das war eine Zeile, die mein Vater immer zitiert hat«, sagte er und fügte dann seufzend hinzu: »Vor dem Tod meiner Mutter.«
    »Du hast gesagt, dass dich die Einsamkeit unverwundbar machte. Ist das nicht mehr so?«
    Harry spürte, wie ihm die Asche der Zigarette auf die Brust fiel. Er ließ sie liegen.
    »Ich habe Rakel getroffen und … ja, Oleg. Sie haben sich an mich gebunden. Und das hat mir die Augen dafür geöffnet, dass es auch in meinem Leben andere Menschen gibt. Menschen, die Freunde waren und die sich um mich kümmerten. Und dass ich sie brauchte.« Harry blies leicht auf seine Zigarette, so dass die Spitze aufglühte. »Und noch schlimmer, dass sie vielleicht mich brauchten.«
    »Und da warst du nicht mehr frei?«
    »Nein. Nein, da war ich nicht mehr frei.«
    Sie lagen da und starrten ins Dunkel.
    Martine legte ihre Nase an seinen Hals. »Du hast sie sehr gern, stimmt’s?«
    »Ja. « Harry zog sie an sich. »Ja, allerdings.«
    Als sie eingeschlafen war, schlüpfte Harry aus dem Bett und legte die Decke um sie. Er sah auf ihre Uhr. Genau zwei Uhr nachts. Er ging auf den Flur, zog sich die Stiefel an und öffnete die Tür in eine sternenklare Nacht. Auf dem Weg zur Toilette studierte er die Spurenund versuchte sich zu erinnern, ob es seit Sonntagmorgen geschneit hatte.
    Auf dem Plumpsklo war kein Licht, so dass er ein Streichholz anzünden musste, um sich zu orientieren. Und als das Streichholz verlosch, sah er zwei Buchstaben, die unter einem vergilbten Bild der Fürstin Gracia von Monaco in die Wand geritzt waren. Im Dunkel dachte Harry, dass jemand wie er dort gesessen haben musste und mit viel Fleiß und einem Messer das simple Bekenntnis abgegeben hatte: R+M.
    Als er wieder vor das Häuschen trat, nahm er eine rasche Bewegung an der Ecke der Scheune wahr. Er blieb stehen. Im Schnee waren die Spuren eines Menschen zu sehen, die zur Scheune führten.
    Harry zögerte. Denn jetzt war es wieder da. Das Gefühl, dass etwas geschehen

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