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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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riechen. Er schloss die Augen. Musste nachdenken.
    Das Handy klingelte.
    Das war sicher Thea, die sich fragte, wo er war. Er konnte jetzt nicht mit ihr reden. Aber es klingelte weiter, aufdringlich und gnadenlos wie die chinesische Wasserfolter, bis er schließlich das Gespräch entgegennahm, seine Stimme zitterte vor Wut:
    »Ja, was gibt’s denn?«
    Aber niemand antwortete. Er warf einen Blick aufs Display. Keine Nummer. Jon wurde klar, dass der Anruf nicht von Thea kam. »Hallo, hier ist Jon Karlsen«, sagte er vorsichtig.
    Noch immer nichts.
    »Hallo, wer ist da? Hallo, ich höre doch, dass da jemand ist. Melden Sie sich «
    Die Panik kroch von den Zehenspitzen über den Rücken weiter nach oben.
    »Hello ? « , hörte er sich selbst sagen. » Who is this? Is that you? I need to speak with you. Hello!«
    Ein Klicken war zu hören, dann war die Verbindung unterbrochen.
    Lächerlich, dachte Jon. Bestimmt hatte sich nur jemand verwählt. Er schluckte. Stankic war tot. Robert war tot. Und Ragnhild war tot. Sie alle waren tot. Nur der Polizist war noch am Leben. Und er selbst. Er starrte auf die Tasche, spürte die Kälte näher kriechen und zog sich die Decke über den Kopf.
     
    *
     
    Harry hatte die E6 verlassen und fuhr schon eine Weile über schmale Straßen durch die verschneite Landschaft, als er bemerkte, dass es aufgeklart hatte und er die Sterne sehen konnte.
    Er hatte das seltsame, zittrige Gefühl, dass bald etwas geschehen würde. Dann sah er direkt vor sich eine Sternschnuppe eine Parabel in den Himmel ziehen und sagte sich, wenn es denn überhaupt so etwas wie Zeichen gab, dann musste es schon etwas bedeuten, wenn vor seinen Augen ein Planet verglühte.
    Hinter den Fenstern im Erdgeschoss des Østgårds brannte Licht. Und als er auf den Hof fuhr, sah er das Elektrofahrzeug, und sein Gefühl, dass etwas bevorstand, verstärkte sich.
    Er ging zum Haus und betrachtete die Fußspuren im Schnee. Stellte sich an die Tür und legte das Ohr ans Holz. Von drinnen waren leise Stimmen zu hören.
    Er klopfte an. Dreimal kurz. Die Stimmen verstummten.
    Dann hörte er Schritte und ihre weiche Stimme: »Wer ist da?«
    »Hier ist Harry «, antwortete er. »Hole.« Letzteres fügte er hinzu, um gegenüber einem Dritten nicht den Anschein zu erwecken, dass Martine Eckhoff und er ein zu persönliches Verhältnis hatten.
    Einen Moment lang wurde am Schloss herumgefingert, dann ging die Tür auf.
    Das Erste und Einzige, was er dachte, war, wie schön sie war. Sie trug ein weiches, weißes, dickes Baumwollhemd, das am Hals offen stand. Ihre Augen strahlten.
    »Ich bin so froh«, lachte sie.
    »Das sehe ich«, erwiderte Harry lächelnd. »Und ich auch.« Dann fiel sie ihm um den Hals, und er spürte ihren raschen Puls.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Moderne Technik.«
    Die Wärme ihres Körpers, die glänzenden Augen, der ganze ekstatische Empfang gaben Harry ein Gefühl unwirklichen Glücks, eines angenehmen Traums, aus dem er, wenn es nach ihm ging, nicht so bald erwachen wollte. Aber er musste.
    »Haben Sie Besuch?«, fragte er.
    »Ich? Nein …«
    »Mir war so, als hätte ich Stimmen gehört.«
    »Ach, das«, sagte sie und ließ ihn los. »Das war nur das Radio. Ich habe es ausgemacht, als es geklopft hat. Ich hatte fast ein bisschen Angst, wissen Sie. Dabei waren es ja nur Sie «
    Sie tätschelte seinen Arm. »Harry Hole.«
    »Niemand weiß, wo Sie sind, Martine.«
    »Ist das nicht toll?«
    »Es gibt Leute, die sich Sorgen machen.«
    »Ach ja?«
    »Ganz besonders Rikard. «
    »Ach, vergessen Sie Rikard. « Martine nahm Harrys Hand und führte ihn in die Küche. Aus dem Küchenschrank holte sie eine blaue Kaffeetasse. Harry bemerkte, dass zwei Teller und zwei Tassen im Spülbecken standen.
    »Sie sehen nicht sonderlich krank aus«, sagte er.
    »Ich brauchte bloß mal einen Tag frei, nach allem, was geschehen ist. « Sie goss ihm ein und reichte ihm die Tasse. »Schwarz, nicht wahr?«
    Harry nickte. Sie hatte reichlich eingeschürt, so dass er die Jacke und den Pullover auszog, ehe er sich an den Küchentisch setzte.
    »Aber morgen ist ja das Weihnachtskonzert, da muss ich zurück sein«, seufzte sie. »Kommen Sie?«
    »Tja. Man hat mir ja eine Eintrittskarte versprochen «
    »Sagen Sie schon, dass Sie kommen!« Martine biss sich plötzlich auf die Unterlippe. »Hm, ich hatte uns ja eigentlich Karten für die Ehrenloge besorgt. Drei Reihen hinter dem Ministerpräsidenten. Aber ich musste

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