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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Einen Freund, dem sie sich anvertrauen konnte, einen, der älter war und der, ohne Fragen zu stellen, alles für die Abtreibung regelte.«
    »Robert«, sagte Martine. »Mein Gott, sie ging zu Robert.«
    »Ja. Und obwohl sie ihm nichts gesagt hat, glaubte sie, dass Robert sich an den Fingern einer Hand abzählen konnte, wer das getan hatte. Und das glaube ich auch. Denn Robert wusste, dass Jon vorher schon einmal jemanden vergewaltigt hatte, nicht wahr?«
    Martine antwortete nicht. Stattdessen kauerte sie sich auf dem Sofa zusammen, zog die Beine unter sich und schlang sich die Arme um die nackten Schultern, als fröre sie, oder als wolle sie in sich selbst verschwinden.
    Als sie endlich zu sprechen begann, war ihre Stimme so leise, dass Harry das Ticken von Bjarne Møllers Uhr hören konnte.
    »Ich war vierzehn. Als er es tat, lag ich da und dachte nur, ichkönnte die Sterne durch das Dach sehen, wenn ich mich nur genug konzentrierte.«
    Harry lauschte, wie sie von dem warmen Sommertag auf dem Østgård erzählte, von dem Spiel mit Robert, von Jons tadelndem, von Eifersucht verdunkeltem Blick. Und von dem Moment, in dem sich die Tür des Plumpsklos öffnete und Jon mit dem Taschenmesser seines Bruders vor ihr stand. Von der Vergewaltigung und den anschließenden Schmerzen, als sie weinend dalag und er einfach zum Haus zurückging. Und von dem Unbegreiflichen, kurz darauf begannen nämlich die Vögel zu singen.
    »Das Schlimmste war aber nicht die Vergewaltigung«, sagte Martine mit tränenerstickter Stimme, obwohl ihre Wangen noch immer trocken waren. »Das Schlimmste war, dass Jon es wusste. Dass er wusste, dass er mich nicht einmal zum Schweigen zwingen musste. Dass ich niemals reden würde. Er wusste, dass ich wusste, dass immer ein Rest von Zweifel hinsichtlich Ursache und Schuld bleiben würde, selbst wenn man mir in Anbetracht meiner zerrissenen Kleider Glauben schenken sollte. Und dass es um Loyalität ging. Sollte ich, die Tochter des Kommandeurs, diejenige sein, die unsere Eltern und damit die ganze Armee in einen ruinösen Skandal zog? Und in all diesen Jahren hat mich Jon, immer wenn wir uns getroffen haben, mit diesem Blick angesehen, der sagte: Ich weiß es. Ich weiß, wie du vor Angst gezittert und dann ganz still geweint hast, damit dich niemand hört. Ich weiß um dein feiges Schweigen, Tag für Tag. « Die erste Träne rann ihr über die Wange. »Und dafür hasse ich ihn so. Nicht weil er mich genommen hat, das hätte ich ihm verzeihen können. Sondern weil er die ganze Zeit mit dem wissenden Blick um mich herumgeschwirrt ist. «
    Harry ging in die Küche, riss ein Blatt Küchenpapier ab und setzte sich neben sie.
    »Pass auf deine Schminke auf«, sagte er und reichte ihr das Papier. »Du weißt schon, der Ministerpräsident und so.«
    Sie tupfte sich mit dem Papier vorsichtig die Augenwinkel. »Stankic war auf dem Østgård«, sagte Harry. »Hast du ihn dahin mitgenommen?«
    »Wovon redest du? «
    »Er war da.«
    »Warum sagst du das?«
    »Wegen des Geruchs.«
    »Wegen des Geruchs?«
    Harry nickte. »Ein süßer, parfümartiger Geruch. Zum ersten Mal hab ich ihn gerochen, als ich Stankic bei Jon die Tür aufgemacht habe. Und dann in seinem Zimmer im Obdachlosenheim. Und zum dritten Mal, als ich heute Morgen auf dem Østgård aufgewacht bin. Der Geruch hing in der Wolldecke.« Er studierte Martines schlüssellochförmige Pupillen. »Wo ist er, Martine?«
    Martine stand auf. »Ich glaube, du gehst jetzt besser.« »Gib mir erst eine Antwort.«
    »Ich brauche nicht zu antworten. Ich habe damit nichts zu tun.«
    Sie war bereits in der Wohnzimmertür, als Harry sie einholte. Er stellte sich vor sie und fasste sie bei den Schultern. »Martine « »Ich muss pünktlich zum Konzert kommen.«
    »Er hat einem meiner besten Freunde das Leben genommen, Martine.«
    Ihr Gesicht war verschlossen und hart, als sie antwortete: »Er hätte sich ihm ja nicht in den Weg zu stellen brauchen.«
    Harry ließ sie los, als hätte er sich verbrannt. »Du kannst nicht einfach zusehen, wie Jon Karlsen umgebracht wird. Was ist mit der Vergebung? Gibt es die in eurer Branche nicht?«
    »Du bist derjenige, der glaubt, dass sich Menschen verändern können«, sagte Martine. »Nicht ich. Außerdem habe ich keine Ahnung, wo Stankic jetzt ist.«
    Sie ging ins Bad und schloss die Tür. Harry blieb stehen.
    »Und du irrst dich, was unsere Branche angeht«, rief Martine durch die Tür. »Es geht bei uns nicht um Vergebung. Wir sind in

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