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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Eintrittskarte noch einmal vorweisen müssen, als er den Saal betrat, und hatte lächelnd den Kopf geschüttelt, als ihn die Frau etwas gefragt und auf seinen Mantel gezeigt hatte. Dann hatte sie ihn zu einem Platz in der Ehrenloge geführt, tatsächlich handelte es sich um ganz normale Bankreihen in der Mitte des Saals, die mit roten Bändern abgetrennt waren. Martine hatte ihm erklärt, wo Jon Karlsen und seine Freundin Thea sitzen würden.
    Und jetzt kamen sie endlich. Er sah auf die Uhr. Sechs Minuten nach acht. Der Saal lag im Halbdunkel, und das Licht auf der Bühne war zu hell, als dass man die Personen der Delegation hätte erkennen können, doch plötzlich wurde eines der Gesichter vom umherschweifenden Lichtkegel eines Scheinwerfers erfasst. Er sah nur kurz ein blasses, gequältes Gesicht, zweifelte aber keine Sekunde:Das war die Frau, die er neben Jon Karlsen auf dem Rücksitz des Wagens in der Gøteborggata gesehen hatte.
    Es schien da vorne leichte Verwirrung wegen der Plätze zu geben, doch dann fand man sich zurecht, und die Wand aus Körpern senkte sich auf die Stühle. Seine Hand umklammerte den Griff des Revolvers, der unter seinem Mantel lag. In der Trommel befanden sich sechs Patronen. Es war eine ungewohnte Waffe, der Abzug war schwergängiger als bei einer Pistole, doch er hatte den ganzen Tag mit ihr trainiert und sich damit vertraut gemacht, wann der Abzug den Schuss auslöste.
    Dann senkte sich, wie auf ein plötzliches Signal, Stille über den Saal.
    Ein Mann in Uniform trat auf die Bühne, hieß die Gäste vermutlich willkommen und sagte etwas, woraufhin sich alle im Saal erhoben. Er tat es ihnen nach und beobachtete die Menschen um sich herum, die schweigend die Köpfe senkten. Wahrscheinlich war jemand gestorben. Dann sagte der Mann auf der Bühne wieder etwas, und alle setzten sich.
    Und dann hob sich endlich der Vorhang.
     
    *
     
    Harry stand am Rand der Bühne im Dunkeln und sah den Vorhang sich heben. Durch das Licht vom Bühnenrand konnte er das Publikum nicht sehen, er nahm es aber wahr wie ein großes Tier, das dort draußen lag und atmete.
    Der Dirigent hob den Taktstock, und der Oslo 3. Corps Gospelchor legte mit dem Lied los, das Harry schon im Tempel gehört hatte:
    »Lasset die Fahne des Heils wehen, im heiligen Krieg voran!«
    »Entschuldigung«, hörte er eine Stimme sagen, drehte sich um und erblickte eine junge Frau mit Brille und Kopfhörer. »Was tun Sie hier?«, fragte sie.
    »Polizei«, sagte Harry.
    »Ich bin die Inspizientin, und ich muss Sie bitten, hier nicht im Weg zu stehen.«
    »Ich suche Martine Eckhoff«, sagte Harry. »Man hat mir gesagt, sie sei hier.«
    »Sie ist dort «, sagte die Inspizientin und zeigte auf den Chor. Und da erblickte auch Harry sie. Sie stand ganz hinten auf der obersten Stufe und sang mit ernster, beinahe leidender Miene. Als sänge sie von einer verflossenen Liebe und nicht von Kampf und Sieg.
    Neben ihr stand Rikard. Im Gegensatz zu ihr hatte er einen geradezu seligen Gesichtsausdruck. Beim Singen sah sein Gesicht ganz anders aus. Das Harte, Verkrampfte war verschwunden und seine jungen Augen strahlten, als meinte er mit voller Seele, was er da von sich gab: dass sie für ihren guten Gott die Welt erobern wollten, für die Barmherzigkeit, die Nächstenliebe.
    Und Harry bemerkte zu seiner Verwunderung, dass das Lied und der Text Eindruck auf ihn machten.
    Als sie fertig waren, den Applaus entgegengenommen hatten und von der Bühne kamen, sah Rikard ihn verwundert an, sagte aber nichts. Als Martine bemerkte, dass er dort stand, schlug sie die Augen nieder und versuchte, einen Bogen um ihn zu machen. Doch Harry stellte sich ihr rasch in den Weg.
    »Ich gebe dir eine letzte Chance, Martine. Bitte, wirf sie nicht weg.«
    Sie seufzte tief. »Ich weiß nicht, wo er ist, das habe ich dir doch schon gesagt.«
    Harry ergriff ihre Schulter und flüsterte ihr eindringlich zu: »Sie werden dich wegen Mittäterschaft drankriegen. Willst du ihm wirklich diese Freude machen?«
    »Freude?« Sie lächelte müde. »Dorthin, wo er geht, wird er keine Freuden haben.«
    »Und dieses Lied, das ihr da gerade gesungen habt? Der sich gnädiglich erbarmt und der Sünder bester Freund ist Bedeutet das nichts? Sind das bloß Worte?«
    Sie antwortete nicht.
    »Ich verstehe ja, dass das schwieriger ist«, sagte Harry, »... als diese flüchtige Vergebung, die du in deiner ganzen Selbstherrlichkeit im Fyrlyset verstreust. Ein Junkie, der hilflos namenlose Personen

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